Als massiver Internetnutzer frage ich mich, wie es mit dem NSA-Skandal durch die Snowden-Enthüllungen des Jahres 2013 weiter gehen wird. Dazu brauche ich natürlich nur ins Netz oder in die Zeitung zu schauen. Fangen wir mit der FAZ vom 12.Jan.2014 an, da feuilletonisiert Sascha Lobo über die digitale Kränkung des Menschen. Er habe immer auch die Netzwerke gegen Kritiker hochgehalten, das Internet für einen Hort der Demokratieverbreitung angesehen – und nun kam der Spähskandal und der Kontrollwahn der Konzerne. Er muss einsehen, er war naiv, jetzt habe sich alles verändert. Wer als Experte für eine Sache einen großen Irrtum zur Sache einräumt, ist ehrenwert.
Er denkt das nicht allein, bei WIRED (Link des nebenstehenden Logos) wird weniger psychisch, dafür mehr sachlich auch über Naivität des Experten und von Balkanisierung des Internet (ein Spruch von Zuckerberg) gesprochen. Der WIRED-Autor Steven Levy rekapituliert die amerikanische Story, wie nach der Snowden-Enthüllung erst mal die großen Internetgiganten geleugnet haben, wie dann über Nachfragen aber doch zutage kam, dass sie alle ihre Datenströme der NSA übergeben, und das aufgrund der amerikanischen Gesetzgebung (FISA Amendments Act von 2008), wobei die Geheimdekrete ihnen sogar verbieten, darüber zu reden. WIRED geht es weniger um Moral und Kränkung, sondern um ökonomische Kollateralschäden einer wahnwitzigen Terrorbekämpfung, denn ein wesentliches Kapital, dass die Nutzer ihre Daten auf Amiserver schicken, besteht im Vertrauen. Und wenn dieses zerstört ist, ziehen die Firmen ihre preiswerte Datenlagerung in Clouds zurück. Die Kunden werden misstrauisch und verlassen vielleicht die amerikanisch betriebenen Plattformen. Und wenn sich gar durchsetzen würde, was in Brasilien, Malaysia, Frankreich und in der EU angedacht wird, das Internet zu nationalisieren („Splinternet“), dann wäre das der Tod des Internets, denn der aktuelle Gewinn liegt ja gerade darin global Zugang zu allen Daten zu haben. Wer dann in Brasilien im Hotel ins Netz geht, wird seine Mails aus Deutschland nicht mehr abrufen können. In Facebook gäbe es keine ausländischen Freunde mehr. Skypen über die Kontinente, nicht mehr drin! Von den Einschränkungen, die dann z.B. die deutsche extrem exportabhängige Investitionsgüterindustrie hätte, und den Einschränkungen im Finanztransfer ganz zu schweigen. Wegen der großen Vernetzungsabhängigkeit ist eigentlich ein „Tod des Internets“ überhaupt nicht vorstellbar (das sieht auch Lobo so). Die potentielle Schlagkraft des digitalen Spähens (falls sie denn überhaupt richtig besteht), ist relativ leicht zu brechen. Jeder Terrorist und anderer Großkrimineller wird künftig grundsätzlich das Handy und das Internet zu seinem Business vermeiden, und analoge Kommunikationstechniken aufbauen, die dann wieder nur mit ganz klassischer Geheimdienstarbeit aufzuspüren sind. Der NSA-Datenwahnsinn, der sicher nicht billig ist, könnte wegen Ineffektivität auch wieder beendet werden.
Dann bleibt allerdings immer noch die Industriespionage, die dann besonders ärgerlich wird, wenn der große Bruder über die besten Technologien verfügt, d.h. wenn die Amis ein Mehrfaches spionieren können als alle kleinen Brüderchenstaaten zusammen. Dass man seitens deutscher Wirtschaftsverbände nicht viel stärker gegen das Ausspähen durch die angelsächsischen Geheimdienste protestiert, ist wohl ein Zeichen von deren Naivität und Ahnungslosigkeit. Zukünftig wird man mehr Geld und Know-How in die Spionageabwehr der Industrie investieren müssen mit dem bitteren Gefühl, man schafft es doch nicht.
Welche Perspektive habe ich als einer, der von Internetöffentlichkeit lebt? Aus Facebook austreten, das Google-Konto löschen, Verschlüsselungstechniken anwenden und den Browser vor Ausspähung abschotten, ist so umständlich, wie mehrere Schlösser an der Haustüre anbringen. Die wollen immer zugedreht und wieder geöffnet werden, wenn ich mit der Außenwelt Kontakt aufnehme. Im Rückblick ist die Snowdenenthüllung so umwerfend nun auch wieder nicht. Bei Evgeny Morozov konnte man schon lange nachlesen, dass die Geheimdienste der Diktaturen die Netzwerkplattformen zur politischen Ausspähung nutzen, so dass ein Saldo zwischen Demokratisierungseffekt und Diktaturstärkung schwierig ist. Das Datamining der Konzerne ist so massiv, dass sich auch ohne NSA die Frage stellte, kann ich da noch mitmachen? Eine gewisse Beruhigung lag darin, dass nur Google weiß, was ich surfe, was ich im Netz kaufe, was ich recherchiere. Und nur Facebook weiß etwas genauer, in welchen Netzen ich mich bewege, wer Vertrauensperson ist, und nur mein Provider weiß, mit wem ich alles Mailkontakte habe. Diese kleine Illusion, dass ein Betreiber immer nur einen Teil von mir weiß, der nicht aus langt, meine volle Person zu umfassen, gilt nun auch nicht mehr. Die NSA hat, wenn sie will, „alles“.
Wohin geht das Internet also? Sterben wird es sicher nicht, und ob die Schnüffelei schlimmer ist, als die stetig wachsende Kapitalisierung und die Ausuferung in alle gesellschaftlichen Bereiche mag ich nur schwer abzuschätzen.
- Die Inwertsetzung von Information wird heute noch wesentlich von der Werbeindustrie bzw. von den Mechanismen, diese zu befriedigen, bedient. Wie beim Privatfernsehen wird der Service, den wir nutzen über Werbung finanziert. Nehmen wir mal Wikipedia aus, dann liefert die Suche nach einem Begriff in aller Regel erst mal ein zu kaufendes Produkt, und sei es das Sachbuch zu dem Begriff. Der meist gesuchte Link, wandert in der Priorität nach oben, ohne Bezug auf dessen Informationsqualität.
- Der Suchende bekommt vom Anbieter einen persönlichen Algorithmus geschneidert, hinter dem zuallererst kommerzielle Interessen stehen, als zweites persönliche Bequemlichkeit (d.h. es wird nach dem gesucht, was wir früher schon suchten).
- Darüber hinaus ist das Internet der ideale Ort des Outsourcing, d.h. der Nutzer muss alle Leistungen selber übernehmen, die früher beim Dienstleister lagen. Das Buchen von Reisen, das Geldüberweisen, die Eintragung beim Melderegister, die Bezahlung von Parkplaketten. Etc. Weil hier ständig Geldbeträge fließen, ruft das die Internetkriminellen auf den Plan. Nur mit großer Mühe hält man sich die pausenlosen Betrugsversuche vom Hals. Etc.
- Das aufkeimende „Internet der Dinge“ wo Waren und Dienstleistungen unabhängig von persönlicher Kontrolle miteinander im wirtschaftlichen Interesse Dritter agieren, macht das Internet zum Mündigkeit raubenden Steuerungsraum.
Es wird kein zweiter Snowden kommen, der plötzlich entlarven könnte, was da passiert, denn es geht schleichend voran. Wenn die NSA in unsere Computer dringt, merken die meisten das nicht, wenn aber Kriminelle eindringen, ist plötzlich das Konto geräubert, ungewollte Zahlungsverpflichtungen entstehen etc. Copyright Verletzungen und Angst der Bürger rufen die Politik auf den Plan, die wird mit Regulierung kontern, was das Netz weiter von dem entfernt, für das wir es heute noch halten.
Ich vermute, die Gefahren für das Internet als einem unbeschwerter Ort der Kommunikation und Wissensrecherche liegen weniger in der Bedrohung durch die Spähtechnologien der Geheimdienste als in diesem schleichenden Prozess der Kapitalisierung und Übergriffigkeit seiner Daten. Auch das wird sicher nicht zum Ende des Internet führen, es erschwert aber die produktive Nutzung des Systems und führt zu verstärktem digital Gap. Damit nicht nur den Privilegierten die Wissensnutzung vorbehalten bleibt und die überwältigende Mehrheit zum Konsumentenvieh des Internetmarktes wird, muss noch viel gegen gesteuert werden, was trotz Snowden z.Zt. kaum sichtbar ist.
PS: Nachtrag vom 17.01.: In den Blogs geht die Post auf Lobos FAZ-Beitrag ab, meist wird negativ auf Lobo reagiert. Ganz differenziert mit optimistischem Beiklang ist z.B. Martin Lindner.