Ist bloggen (noch) zeitgemäß?

Um die Jahrhundertwende, als sich das Internet stärker entfaltete, geisterte noch die Vorstellung im Raum, dass hier im Unterschied zum Fernsehen, Rundfunk und Zeitungen der Rezipient nicht mehr länger zum Empfänger verurteilt sei, sondern zum Sender avancieren werde. Es wurde von einer „Blogsphäre“ gesprochen, die ein partizipatives Hintergrundrauschen zur Zeitungspresse und zu wissenschaftlichen Artikeln sei. Es wurden stolz die Blogbeiträge gezählt, die auf einen wichtigen Artikel eines angesehenen Publikationsorgans folgten. Und das Internet galt damit als Bereicherung einer Demokratie

In modernen Veröffentlichungen zur Kommunikation im Internet, wird in der Regel, diese alte Vorstellung als Illusion gebrandmarkt, und die heute s.g. „Sozialen Medien“ werden eher als Zertrümmerer verlässlicher Informationsströme und als gefährdend für demokratische Entwicklungen angesehen.

Schauen wir, was ChatGPT dazu sagt:

Ob das Bloggen noch zeitgemäß ist, hängt von verschiedenen Faktoren ab, einschließlich der individuellen Perspektive, des Zwecks des Blogs und der Zielgruppe. Hier sind einige Überlegungen:

  1. Relevanz für die Zielgruppe: Wenn Ihre Zielgruppe nach Informationen sucht, die gut in einem Blog-Format präsentiert werden können, ist Bloggen nach wie vor relevant. Menschen suchen oft nach detaillierten Anleitungen, Meinungen oder Fachkenntnissen, die in Blogs gut vermittelt werden können.
  2. Suchmaschinenoptimierung (SEO): Blogs sind nach wie vor eine effektive Möglichkeit, die Sichtbarkeit in Suchmaschinen zu verbessern. Suchmaschinen lieben frischen, qualitativ hochwertigen Inhalt, den Blogs bieten können.
  3. Persönliche Verbindung: Blogs bieten eine Plattform für persönliche Geschichten, Meinungen und Einblicke. Wenn der Fokus auf Authentizität und persönlicher Verbindung liegt, kann das Bloggen sehr relevant sein, um eine engagierte Leserschaft aufzubauen.
  4. Konkurrenz mit anderen Plattformen: Mit dem Aufkommen von sozialen Medien, Videoplattformen und Podcasts gibt es viele alternative Formate für die Informationsvermittlung. Manchmal kann es effektiver sein, Inhalte auf diesen Plattformen zu teilen, je nachdem, wo sich Ihre Zielgruppe häufig aufhält.
  5. Professionalität und Glaubwürdigkeit: Ein gut gepflegter Blog kann dazu beitragen, Ihre Professionalität und Glaubwürdigkeit in einem bestimmten Bereich zu stärken. Dies kann besonders wichtig sein, wenn Sie als Experte wahrgenommen werden möchten.
  6. Monetarisierung: Viele Blogger verdienen Geld mit ihren Blogs durch Werbung, Sponsoring, Affiliate-Marketing oder den Verkauf von eigenen Produkten. Wenn Monetarisierung ein Ziel ist, kann das Bloggen immer noch eine tragfähige Option sein.

Insgesamt kann man sagen, dass das Bloggen nach wie vor relevant sein kann, insbesondere wenn es gut gemacht ist und den Bedürfnissen Ihrer Zielgruppe entspricht. Es ist wichtig, die Trends zu beobachten und sich an Veränderungen anzupassen, um die Wirksamkeit Ihres Blogs aufrechtzuerhalten.

Folgt man der ChatGPT-Aussage, dann gibt es eigentlich gar keine Sorge, man muss nur die 6 Punkte beachten, und schon hat man erfolgreiches Bloggen. Auf das Problem, dass Bloggen im großen Meinungskontext irrelevant sein könnte, weil gemessen am Netztraffic der großen Plattformen die „Blogtraffic“ völlig untergeht, läßt sich ChatGPT gar nicht ein.

Sieht man als Zielgruppe der Internetrezipienten die Öffentlichkeit, dann dominieren Facebook, Instagramm, Tiktok und X mit Ihrem Traffic das Kommunikationsgeschehen, während Blogs da völlig heraus fallen (vgl. z.B. Atlas der digitalen Welt, von Martin Andree und Timo Thomsen, 2020).

Ist die Zielgruppe die Familie und Freunde, und der Blog ein Reisebericht auf einer Welttournee, dann ist ein Blog machbar und für einige Zeit am Leben haltbar. Allerdings kann man sich fragen, lohnt es dafür einen Blog einzurichten? Kann man das nicht viel einfacher über eine Gruppe in WhatsApp, oder Facebook, etc. machen, d.h. auch hier setzen sich die Plattformbetreiber durch, wenn es um Effizienz geht.

Wie viele Blogs gibt es überhaupt mengen- und artenmäßig? Und gibt es da immer noch Zuwachs oder Rückgang? In Dr. WEB wird mit dem Ergebnis recherchiert, dass es viele meist übertriebene Nennungen gibt, die genauerer Analyse entbehren. Es sind viele, vielleicht 1,2 % der NetznutzerInnen, aber man weiß es nicht genau.

Wie groß ist die Blognutzung im Verhältnis zur gesamten digitalen Mediennutzung? fragen die Autoren Andree und Thomsen in dem o.a. Buch „Atlas der digitalen Welt“. Sie messen bei den 100 größten deutschen Blogs (vgl. S.233) als „Total Duration“ (gesamte Nutzungszeit) nur ein hundertstel Prozent aller Nutzungszeiten. D.h. „Der ganz große Teil der (Netz)Nutzer konsumiert im Alltag überhaupt keine Blogs.“(S.233). Diese Sichtweise der Gesamtwirkung von Blogs unterscheidet sich total von den Angaben in ChatGPT und von Dr. WEB. Auch Statista liegt in seiner Schätzung hoch. Danach würden 22% der Internetnutzer Blogs nutzen!?
Der statistische Totschlag der Blogkommunity durch die Autoren Andree und Thomsen ist quantitativ wohl gerechtfertigt. Qualitativ bleibt aber zu berücksichtigen, dass auch eine kleine Nutzerzahl mit besserer „Duration“ einen gesellschaftlichen Sinn entfalten kann. Ein Forschungsbeitrag braucht nicht Millionen Klicks, es langt, wenn die wenigen Wissenschaftler, die damit beschäftigt sind, darüber erreicht werden. Ebenso sind Nischenthemen, wie beispielsweise Modelleisenbahnen, über einen Blog gut abzudecken, weil die interessierte Zielgruppe entsprechend klein ist.

Wie lange lebt ein Blog? Hierzu habe ich nichts gefunden. Wenn ich auf meinen Blogroll blicke, den ich wohl vor 10 Jahren begonnen habe, dann stelle ich heute fest, dass die Hälfte nicht mehr existiert, und der andere Teil seit einigen Jahren seine Aktivität eingestellt hat. Dieses kleine Beispiel indiziert, das Blogs nicht lange leben, sie werden mit dem Ende des Autors nicht weiter geführt, es sei denn, es stehen Redaktionen dahinter, wie z.B. bei netzpolitik.org, die ein längeres Leben garantieren.

In meinem Blog hatte ich zu Beginn als Zielgruppe „meine“ Forschungscommunity anvisiert. Als Erwachsenenbildner, den die Themen Nachhaltigkeit, Neue Medien, Selbstgesteuertes Lernen bewegte, konnte ich versuchen mit Kolleg:Innen in Austausch zu treten. Dazu musste ich allerdings – und das wird oben bei ChatGPT auch zu wenig berücksichtigt, den Umweg über Plattformen gehen. Ohne Werbung in Facebook und Twitter, wären meine Beiträge im Nirgends gelandet. D.h. um einen „öffentlichen“ Blog ein bisschen zum Leben zu erwecken, braucht es die Werbetrommel in den Netzgiganten. Ein Blog sollte ja ein Kommunikationsforum sein, auf dem durch Widerspruch, Ergänzung und Begründung ein Wissenszuwachs aller Kommunizierenden erfolgen könnte. Aber viele meiner Beiträge haben weder eine Bewertung (Like) erhalten, noch einen Kommentar erfahren. Neidvoll habe ich amerikanische Blogs verfolgt, in denen zum e-Learning qualifizierte Diskussionen geführt wurden. Waren meine Beiträge zu langweilig, zu wenig wissenschaftlich aktuell, oder haben wir in Deutschland nicht so eine Blogkultur, wie ich sie in den USA beobachten konnte?

Was treibt einen Rezepienten vom Empfänger zum Sender zu werden? Bei uns scheint es wesentlich einen emotionalen Grund oder eine Irritation geben zu müssen, bevor kommentiert wird. Einmal habe ich Cohn-Bendit in einem Beitrag heraus gehoben. Prompt schaltet sich ein Hassprediger ein und zieht sich am alten Pädophilenvorwurf hoch mit so unerträglichen Argumenten, dass ich schließlich die Kommentarspalte zu diesem Beitrag geschlossen habe. Für den kritisch reflektierten Sender von Statements ist sicher auch das Ranking, d.h. der Stellenwert einer Botschaft entscheidend. Auf einen Inhalt aus sozialen Netzen wird man erst reagieren, wenn der Urheber eine ausgewiesene Person ist. Eine Aussage von Hinz und Kunz, mag sie noch so interessant sein, wird übergangen, weil es sich nicht lohnt, darauf zu reagieren. Ein Blogbeitrag liegt im Ranking höher, denn da kann man eher eine Expertise vermuten, insbesondere, wenn der Blog in einem institutionell gesicherten Kontext steht.

Auf einen Blog sachlich zu antworten, ist deshalb auch eine höhere Hürde, als ein Statement auf ein anderes Statement aus sozialen Netzen zu senden. Ein Kommentar, der sachlich etwas nachlegen will, macht Arbeit, kostet Zeit und setzt Expertise voraus. Also wozu antworten? Für was? Ein Kommentarbeitrag in einem Blog ist nirgends gelistet, keine zusätzliche Publikation. Es muss also eine reine Lust am gelungenen Gedankenaustausch, am Vorantreiben von Ideen sein, sich in einem Kommentar zu äußern. Bzw. es bedarf einer lebendigen, aktiven Kommunikationskultur im Netz.

Was motiviert mich für einen Blogbeitrag? „Sender“ zu sein, heißt auch, ein Sendungsbewusstsein zu haben. Ich möchte mein Wissen anderen mitteilen, ihre Wertschätzung erfahren, oder ich möchte mich Positionieren mit meiner ideellen Ausrichtung, als Verstärker dieser Ausrichtung wirken. „Oh, der hat einen Blog im Netz.“ Das ist ein Stärkekriterium, damit lässt sich angeben. Auch über Werbeverträge Geld zu verdienen, ist ein Blogmotiv. Wenn dann aber keine Resonanz erfolgt, entsteht kein Gewinn und es dämpft die Eitelkeit. Will man Resonanz haben, muss der nächste Beitrag verfasst werden, es bedarf Masse, bevor Aufmerksamkeit erfolgt.

Eine Beobachtung, eine Idee oder eine Positionierung, die einem im Kopf umtreibt, reift erst, wenn sie schriftlich verfasst und überarbeitet wird. D.h. Blog schreiben, hat auch eine Funktion nach Innen, an einem Gegenstand reifen. Das unterscheidet einen Blogeintrag von einem Kommentar auf einer Plattform. Ein Plattformkommentar ist flüssig, er ist am nächsten Tag verschwunden, taucht allenfalls wieder auf, wenn jemand darauf antwortet. Er ist ein Statement. Der Blogbeitrag ist ein kleiner Essay und steht auch nach einem Jahr noch im Archiv. Will ich wissenschaftliche Meriten, dann sollte ich Zeitschriften Artikel verfassen. Ein Blogger ist dann ein verhinderter Zeitschriften Autor? Das wäre ein Missverständnis. Ein Blogbeitrag ist eine Ausführung vor oder unterhalb einer wissenschaftlichen Veröffentlichung. Dass macht ihn ja interessant. Oder im „Nischenfall“ ist es ein Beitrag für Minderheiten, deren Beiträge es nicht schaffen, in Zeitschriften aufgenommen zu werden.

Fazit: Mit einem Blog verändert man nicht die Welt. Im medialen Umfeld stellt er eine Marginalie dar, aber als Nischenduftmarke und engagierte Mikrokommunikation gegen den Netzmainstreamschrott sollte er nicht untergehen.

Meine Beiträge in diesem Blog sind mit dem Rückgang meiner wissenschaftlich/beruflichen Tätigkeit versiegt (Kategorie: gealterter Blog). Noch bin ich Juror im Bundesumweltwettbewerb, über den zu schreiben fehlt mir aber der Schwung, da müssen Jüngere ran. Gerne beobachte ich noch die KI-Entwicklung, zu der ich mich sehr früh im linksalternativen Pflasterstrand bereits geäußert habe. Mal sehen, ob das der Schlussbeitrag war?

 
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