Schirrmachers Attacke gegen die Versprechungen des Internet

Im Kontext des jüngsten Zeitungssterbens holt Frank Schirrmacher zum Schlag gegen die Versprechungen des Internet aus. Ich bin mir nicht sicher, ob ich alles verstanden habe, weil er mehrere Linien ausfährt, die m. E. nicht alle wieder zusammengeführt werden, so dass ich frage, was war denn nun die Botschaft?

Eine Linie ist die Demontage der Vorstellung des Netzes als Gesellschaft verändernes Social Media, als hoch interaktiver Raum. Die große Vision, nachder jeder Autor, Verleger und Fernsehtstation in einem sein könne, ist so nicht erfüllt. Je näher die auf dem Markt verfügbaren Technologien dieser potentiellen Vision kommen, desto mehr entlarvt sich die faktische Nichhaltbarkeit. Es ist nichts anderes als „Silicon Valleys größter Werbecoup der Weltgeschichte“. Der geläuterte Neoliberalist Schirrmacher macht im Internet den freien Markt dafür verantwortlich, dass die großen Kommunikationsräume nur von ganz wenigen Informationskonzernen beherrscht werden, die die Inhalte zensieren, und das Kommunikationsverhalten auf Daumen hoch Button reduziert haben („Partizipation beschränkt sich auf Belohnungssysteme“). Jeder Informationsimpuls wird über Algorithmen von den Großen in Geld umgemünzt, während anders Kommunizieren in Nischen stattfindet. Und die wenigen Beispiele, wie Flattr, crowd funding, oder Werbevermarktung auf Blogs funktionieren in Ausnahmefällen, sie können aber kein Gegengewicht in der Internetökonomie herstellen. Das ist die zweite Linie im Text, die „Ökonomie des Geistes“.

„Die Tatsache, wie wenig gesehen wird, dass die Evolution der neuen Kommunikationstechnologien ihre eigenen emanzipatorischen Ideen praktisch unterläuft, ist das eigentlich Befremdliche der gegenwärtigen Debatte.“ Dem ist sicher zuzustimmen, auch die Beispiele der Hypes, die durchs Internetdorf gejagt wurden und werden, sich aber nicht einlösen lassen. Es war keine facebook Revolution, die den arabischen Frühling auslöste, und das Geraune um 3-D-Printer, die jedes Heim zum Supermarkt werden lassen, ist blanker Unsinn, bzw. ungebremster Technologieeuphemismus. Kevin Kelly mit seiner Informationsökonomie, der „Heilige des Silicon Vally“ wird als „Wiederkehr des Neoliberalismus in Gestalt von Techno-Utopie“ gezeichnet. So weit so gut – aber was ist die Alternative? Die Verlage sollen nicht auf das Internet starren, wie viele Kritiker jetzt vorwerfen, da gibt es für den Journalismus nichts revolutionäres (außer Selbstausbeutung und gar keine Bezahlung) zu holen. Diese Modelle funktionieren alle nicht, trotzdem brauchen wir guten Journalismus! Ja, und woher soll der kommen, Herr Schirrmacher, habe ich da etwas übersehen?

Jenseits der großen Versprechungen von social media bewegt sich wohl doch etwas. Lesegewohnheiten ändern sich, Netznutzungen gibt es zuhauf. Journalismus und Zeitschriften sind ohne Internet schlechterdings zukünftig schwer vorstellbar. Also sollte es doch noch Modelle geben, jenseits der Hypes, die qualitativen Journalismus im veränderten Gewandt möglich machen.

 
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Eine Antwort zu Schirrmachers Attacke gegen die Versprechungen des Internet

  1. Sepp sagt:

    Lieber Heino,
    ich stimme dir zu: das war ein ziemlich chaotischer Artikel von Schirrmacher, dem offensichtlich das Name-Dropping wichtiger war, als eine systematische Analyse. Die müsste – da gebe ich dir auch recht – bei den Themen deines letzten Absatzes anfangen. Die Ergebnisse komplexer dynamischer Prozesse waren noch nie von Beginn an absehbar, deshalb gibt es heute so eben noch funktionierenden Qualitätsjournalismus alter Art, aber auch schon seinen Zerfall – teilweise, bevor neue funktionierende Bezahlmodelle sich durchsetzen können. Ja, es kann ein neues Gleichgewicht geben, aber der Anteil guten Journalismus wird darin geringer sein, weil die Nachfrage sich von den verdeckten Geschäftsmodellen alternativer Anbieter( Google et. al.) auf ein zu niedriges Preisniveau ziehen lassen wird. Ja, die Blogosphäre kann – allerdings auf nicht-kommerzieller Basis – teilweise einen Ersatz für anderswo schwindende Qualität aufbauen, aber das wird langsam gehen, wie du an der Entwicklung der Wahrnehmung deines Blogs siehst. Und: Der Anteil der Zeit-Leser war immer schon geringer als der der BILD-Leser. Vielleicht gibt es tatsächlich eine Grenze für dieses Verhältnis, unterhalb der die gesellschaftliche Debatte nicht mehr funktioniert.

     

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