„WENN DAS SCHLACHTEN VORBEI IST“ heißt T.C. Boyles jüngstes Buch, original 2011 und in Deutschland 2012 erschienen. Ich lese wenig Belletristik, aber geschenkt und noch dazu mit Ökothema habe ich mir diesen 461 Seiten starken Wälzer reingezogen. Der Autor lehrt creative writing in der California Universität Los Angeles und ist ein professioneller Erfolgsschriftsteller, der gehobene Literatur am Fließband produziert. Seine Sprache ist gesättigt mit guten Bildern, präzisen, prächtig erzählten Alltagsbeobachtungen und das Erzählstrickmuster besteht in Collagen, mit Schnitt und Gegenschnitt werden die Protagonisten porträtiert oder ein Zeitritt vorgeführt. Der Fortgang beginnt regelmäßig nicht damit, dass z.B. Alma (eine Protagonistin) gerade irgendwas tut, sondern dem Leser wird eine ganz neue Situation im Detail erzählt, und plötzlich finden wir Alma darin. Ebenso regelmäßig erfahren die Artikel einen Spannungsaufbau, dass man beim Lesen schon spürt, gleich passiert wieder etwas, ein Drohendes, dessen Ausgang der Leser wissen möchte, was ihn angespannt bei der Stange hält. Und dann passiert es, meist malerisch in ein Unwetter gekleidet kommt der Tod, werden Menschen aus ihrer Bahn geworfen. So Geschriebens muss ein Markterfolg werden.
Dieses professionelle creative writing, das hier der Autor produziert, hat Qualität, aber man durchschaut sein Muster, wie er seinen Text nach Regeln in den Laptop jagt, und die Schnitte mit copy und paste kunstvoll durcharrangiert. Das dabei auch noch ein Thema abgehandelt wird, ist fast schon nebensächlich.
Erzählt wird die Story eines für mich nicht ganz nachvollziehbaren Ökoquatsches. Alma mit Freund Tim leitet vom staatlich getragenen Nationalpark Programme zur Erhaltung ursprünglicher Artenreinheit eines insularen Ökosystems. D.h. die Insel Santa Cruz vor der Kalifornischen Küste ist ein Vogelparadies, das durch die eingewanderten Ratten und angesiedelten Schweine, die verwilderten, bedroht ist. Gegen die Ratten und gegen die Schweine werden aufwändige Programme installiert, um sie zugunstend der endemischen Population zu vernichten. Alma steht für Intellektualität, für rationale Wissenschaft, die Ökoingeneering treibt, und mit menschlichem Eingriff Natururstände wiederherstellen will. Ihr Gegenpart, Dave LaJooy ist ironischerweise ein Technikvertreter, der mit Heimelektronik gut Geld gemacht hat, und nach einem Erweckungserlebnis angesichts Darstellungen von Tierquälerei, bei denen KZ-Fantasieen entstehen, zu einem militanten Tier- bzw. Lebensschützer und Aussteiger wird. Er ist gleichzeitig Begründer einer Bürgerinitiative gegen Tiermord, die als Gegenspieler zu den Nationalparkprojekten fungiert. Almas Freund Tim gehört ebenfalls zur Ökopurismusfraktion. Als sie ein Kind von ihm erwartet, bricht er herzlos die Beziehung ab, weil in diese Ökoscheißwelt keine Kinder geboren werden dürfen. Bei Alma erfährt der Leser drei „Schwachpunkte“ im Roman, als sie einen erschossenen Keiler vor sich liegen sieht, der im besten Keileralter erlegt wurde, geht ein irritierendes Gefühl von der Großartigkeit dieses Tieres in ihr auf, was sie aber nicht von ihrer Einstellung abbringt. Dann wird ein ebenfalls artfremder Waschbär gefangen, dessen Herkunft Alma unklar ist. Als die Jäger ihn sofort erschießen wollen, weil er mit Sicherheit ein artfremder Räuber sein wird, wehrt sie sich dagegen. Und schließlich dass sie das Kind, das in ihr wächst, behalten will, obwohl sie abstrakt gegen Kinderkriegen war, ist das dritte Zeichen, der Öko(schein)rationalität eine emotionale Absage zu erteilen.
Der Kontrahent Dave wird von T.C. Boyle negativer gezeichnet. Er ist der emotional gesteuerte Wutbürger, der illegale Mittel einsetzt, was ihn in grenzwertige Situationen bringt, an denen er immer scheitert, die zweimal tödlich enden. Die Verbindung von Lust und Bösartigkeit mit einer Schiffsfahrt, die Urlaub sein sollte und gleichzeitig das Einschmuggeln von artfremden Tieren auf die Insel bewirken sollte, startet im starken Nebel und endet mit einer tödlichen Kollision mit einem Tanker. Als Symbol für die Nichtigkeit des Protestes, stehen Tanker und Boot in krassem Missverhältnis, dass niemand auf dem Tanker die Kollission überhaupt bemerkt. Damit endet der vorletzte Romanabschnitt.
Für mich ist das ein amerikanischer Roman, der die fundamentalistische Gesellschaft der religiösen Amis zur Folie hat. Militante Tierschützer, militante Abtreibungsgegener sind eigentlich nur Abkömmlinge des religios begründeten Fundamentalismus. Und fantischer Rationalismus, der Ingenieurglaube, Gesellschaft und Natur technisch steuern zu wollen, geht mehr in die puritanisch kalvinistische Richtung.
Ich kenne über meine Biografie sehr viele umweltengagierte Menschen, habe aber noch nie einen so bornierten Typus, wie den der Boyleschen Dartsellung erlebt. Ein großes Thema ist Renaturierung, da wird aber nicht krampfhaft ein irgend wie postulierter Vorzustand restrauriert, sondern es geht darum, Verbrachtes oder eben denaturiertes Gebiet als Grünzone zurück zu gewinnen. Das Gebot nachhaltiger Entwicklung heißt immer eine Abwägung gegenüber den verschiedenen Nutzungsansprüchen mit einer Überlegung langfristiger Sicherung zu verbinden. Das geschieht über politische Aushandlungsprozesse, bei denen leider das Primat der Ökonomie sich meist durchsetzt.
Der gestaltende Eingriff des Menschen in die Natur ist ein Grundzug, dem wir unsere Entwicklung verdanken. Auch wir haben große Gebiete, wo wir künstlich einen alten Zustand wenn schon nicht wiederherstellen, so doch aufrechterhalten. Die Alpen würden nach rein wirtschaftlichen Prozessen in großen Teilen schlicht verwalden und kämen zu ihrer Ursprungsform vor der menschlichen Besiedlung zurück. Das liegt daran, dass die heutige Alpenlandschaft eine Kulturlandschaft ist, die nur durch die jahrhunderte lange emsige Arbeit der Alpwirtschaft zu dieser Gestalt kam. Weil die Milch und Käsebetriebe der Alpen nicht konkurrenzfähig mit den viel besser rationalisierbaren Flachlandbetrieben sind, müßte die Landwirtschaft eigentlich dicht machen, und dann käme die Totalverwaldung. Dieser Prozess wird durch die hohe Subventionierung der alpinen Landwirtschaft verhindert. D.h. wir leisten uns diese Kulturlandschaft künstlich über die Subventionierung aus Steuermitteln. Das ist auch kein Historienpurismus, sondern ein kultureller Akt. Was die alpinen Touristen dort schätzen und schön finden, ist kulturelles Erbe, das wir pflegen.
T.C. Boyle sieht die Welt aus ideologischer Verkrampfung in die Katastrophe fahren. Ich meine, wir arbeiten eher daran, zu überleben. Und die Probleme liegen weniger in subjetiven Starrsinn und wissenschaftlichem Fanatismus, als in systemischen Kollateralschäden, die erkannt werden müssen, und gegen die stetig mit dem Ziel der Zukunftssicherung unter humanen Bedingungen Gegenarbeit geleistet wird.
Den Grundüberlegungen, die der Kritik an dem Boyleschen Buch zu Grunde liegen, kann ich gut zustimmen. Zwei kurze Bemerkungen zu den Details:
Es gibt schon vereinzelte Versuche, einen Status quo ante wieder herzustellen. Letztlich gehen solche Versuche allerdings meist deshalb schief, weil wir nicht absehen können, ob nicht Arten, die für die Stabilität eines Ökosystems bzw. der zugehörigen Tier- und Pflanzengesellschaften unersetzbar sind, schon so weit geschädigt sind, dass auch ein Schutzprogramm das System nicht retten kann. Es gibt Beispiele kleiner unbesiedelter tropischer Inseln, bei denen die Eliminierung der Ratten erfolgreich war und sich die Vogelwelt wieder langsam erholt.
Das Schweinebeispiel scheint mir etwas sehr konstruiert; tendenziell wären die Schweine vermutlich Nahrungskonkurrenten des Menschen und würden schon deshalb bejagt. Mir ist nicht deutlich, welche anderen Arten die Schweine unmittelbar bedrohen. Selbstverständlich könnten sie die Vegetation und damit mittelbar Nahrungsspezialisten gefährden. Die gefährlichste Art, die bislang von ihr nicht genutzte Ökosysteme bedroht, ist und bleibt der Mensch.
Der Exkurs zu den Alpen ist bei näherer Betrachtung komplizierter. Durch die Geländeform kann man nicht davon ausgehen, dass sich überall und umstandslos eine Bewaldung wieder herstellt. Weite Bereiche sind so erosionsgefährdet, dass mit dem Ende der Bewirtschaftung (z.B. der Bergwiesen, deren Vegetation durch Heuernte kurz gehalten wird) auch für die Talbereiche die Gefahr von Lawinen und Muren so zunehmen würde, dass eine weitere Besiedlung unmöglich oder extrem teuer würde – von Tourismus ganz zu schweigen.
Meiner Meinung nach legt Boyle seinem Buch keine eindeutige Moral zugrunde. Ich finde vielmehr, dass er lediglich verschiedene Perspektiven nebeneinander darstellt und es dem Leser überlässt, welche Schlussfolgerungen er daraus ziehen möchte. Ich lasse da gerne mit mir dikutieren, aber genau das scheint für mich die Stärke des Buches zu sein. MfG, Rainer
Hallo Rainer,
da stimme ich Dir im Prinzip zu, wenn ich auch meine, dass Alma, die Naturschutzverwaltungsfrau etwas besser wegkommt. Boyle lässt uns entscheiden, und deshalb ist es natürlich auch unser Leser-Recht, über seine Argumentation zu entscheiden. Sein Stil ist es ja, Dinge, die wesentlich sind, aus einer Nebenperspektive zu beleuchten, bis sie plötzlich da sind. Und so unterstelle ich ihm, dass er die Frage ökologischer Entwicklung zum Thema hat. Als Reflexionsfeld überläßt er uns Lesern die Spielwiese zweier fundamentalerer Ökoströmungen. Die ist aber bezogen auf die Gesamtwentwicklung unseres Planeten ziemlich irrelevant. Ich habe mich beim Lesen der sprachlichen Bilder und Spannungsbögen erfreut, aber was nehme ich sonst noch mit? MfG Heino