Krisenkommentar

Otto Normalbürger steht ratlos vor dem Krisendiskurs. Ist das noch zu verstehen? Weiß niemand eine Lösung? Weiß niemand wo es hingeht? Wie kann da noch politische Partizipation eingelöst werden, wenn auch FAZ-, taz- oder Süddeutschenlektüre nur weitere Unwissenheiten zutage bringen?

– Eurobonds?
– europäisches Bankensystem?
– Fiskalpakt?
– Rettungsschirm?
– EZB-Position?
– Transaktionssteuer?
– Wachstumspakt?
– mehr Integration von Europa = weniger Demokratie?

Das ist kein Wudu-Zauber, die These, niemand blickt da durch, darf man sich nicht zu eigen machen. Das Problem besteht nicht im Verstehen der Begriffe, sondern in der Schwierigkeit ihrer Wirkungsbeurteilung.

Als ökonomische Wirkmechanismen wird von konservativer Seite (FAZ) insbesondere der Liberalismus, bzw. die alte Hayek-Schule ins Feld geführt. Danach soll man den Märkten die Regulierung überlassen, die seien die besseren Sachwalter „richtiger“ Lenkungsmechanismen. Dagegen steht der Keynesianismus, der den Märkten  mißtraut, und mit investiven  (der Staat druckt Geld, erhöht seine Schulen) oder regulativen (Gesetzesauflagen) Maßnahmen steuernd in den Markt eingreift, um diesen auf die Sprünge zu helfen. Als politisch-kultureller Mechanismus wird in jüngster Zeit vermehrt auch die nationale Attitüde und Mentalität der Bürger der Euroländer in die Debatte geworfen, nach der z.B. gesmateuropäische Akzeptanzen angesichts der national-kulturellen Diversitäten in Europa nicht zu haben sein werden.

Z.B. an den Eurobonds kann man das gut illustrieren.
Frau Merkel sagt (unter Beifall der FAZ) nein, weil sie erstens in den Eurobonds eine Maßnahme sieht, die den Marktkräften widerspricht, und den südlichen Ländern mit  billigem Leih-Geld ermöglicht, vom Tugendpfad der Struktur- und Sparreformen abzuweichen (Liberalismus). Politisch ans Wählervolk denkend, sieht sie die Akzeptanz ihrer Wähler aus den gehobenen Mittelschichten sinken, die keine Lust haben, für die früheren Sünden der Griechen und anderer Südländer eigene Verzichte zu leisten.
Cohn-Bendit
sagt ja zu den Bonds, weil er an den Keynesianismus glaubt (und natürlich an ein wachsendes Europa). Mit dem mehr Geld, das die Griechen ins Staatssäckel bekommen, wird das Kaputtsparen beendet, und einen Wachstumspfad eingeleitet. Die Spekulation gegen die Länder wird beendet. Und die grüne Klientel wird einem solidarischen Ausgleich zum Überleben Europas positiv gegenüberstehen (Z.Zt. hat allerdings Tritin Schwierigkeiten mit seinem Ja zum Fiskalpakt). Aber ganz so einfach rechts-links ist es auch nicht.
Der deutsche Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, der regelmäßig eher liberal argumentiert, befürwortet in seinem Jahresgutachten 2011/12 (auf S.109ff) mit der Forderung strikter fiskalpolitischer Auflagen (Schuldenbremse, etc.) die Eurobonds (Europäischer Schuldentilgungsfonds). Die Eurobonds sind durch die Möglichkeit, an billiges Geld zu kommen, von dem Wachstumsimpulse erwartet werden, keynesianistisch und staatsinterventionistisch, denn sie sind von massiven staatlichen Lenkungsvorschriften begleitet. Dass der SVR sich dafür entscheidet, zeigt wohl, wie tief der Kapitalismus in der Scheiße sitzt, so dass von Selbstheilung auch etliche, bislang liberale  Auguren nicht mehr reden, und in die Interventionskiste greifen. Die Abkehr vom eigenen Dogma kann auch damit begründert werden, dass auch der SVR keine Alternative sieht. Deutschland profitiert extrem vom Euro, und ohne Hilfe scheint bei einigen süddeutschen Ländern der Kollaps zu drohen, was das Aus für Europa sein könnte.
Meine Position zu den Eurobonds ist FAZ-Lektüre geprägt. Ich sage  nein, weil
1. der Keynesianismus kein Grundgesetz ist. Mehr Geld in die Wirtschaft (auch die neuen Wachstumspläne von Hollande gehören dahin) muss keineswegs zu Wachstum führen.
2. Die fiskalpolitischen Auflagen gabs ja auch vor der Krise schon, und fast alle Länder haben sich nicht daran gehalten. Massive Strukturreformen, die z.B. Griechenland braucht, gehen auch mit Brüsselauflagen nicht, solange noch Geld da ist. Die korrupten Eliten und herrschenden Klüngel werden sich doch nicht freiwillig die Gehälter kürzen und ihre Mafiosimacht auf ihren unproduktiven Märkten abgeben. Die Eurobonds können Zeit kaufen, aber sie werden die Länder nicht konkurrenzfähig für den Weltmarkt machen. Griechenland kann man wahrscheinlich auf Dauer mitschleppen, aber wenn sich Italien und Spanien und Portugal nicht bessern, kommt der Euroclash auch mit ESF und Bonds und Fiskalpakt.  Wenn Nord-Italien seit über 50 Jahren seinen Mezzogiorno mit riesigen Geldtransfers nicht in den Griff bekommen hat, wie soll Brüssel in wenigen Jahren Griechenland zähmen?

Europäisches Bankensystem. Das wird von Leuten ins Feld geführt, die dem Fiskalpakt und dem Rettungsschirm nicht trauen, und glauben, man solle die Banken direkt stützen. Auch hier Liberalismus first. Experten sagen, die Banken in einem System zur gemeinschaftlichen Haftung zu zwingen, und sie diekt zu fördern, sei billiger, als sie über den Umweg der EZB zu finanzieren. Ich kann das nicht beurteilen. Wer genaueres dazu lesen will hier.

Fiskalpakt – Rettungsschirm. Die Geschichte ist ganz einfach. Wenn man ein gemeinsames Finanz-Dach hat, das gemeinsamen Schutz vor Spekulationsangriffen und Konjunkturmalaisen bietet, dann bedarf es dazu einer Basis auf der das steht. Ich garantiere nicht jemandem Schutz, und übernehme für ihn Verantwortung, wenn der sich an überhaupt keine Regeln hält. Also gehört zum Rettungsschirm auch eine transnationales Abkommen, das die Ausgaben- und Einnahmenpolitik der beteiligten Länder „kordiniert“. Die Regularien, die in dem Fiskalpakt stehen, sind mir nicht bekannt, aber dazu gehört auch die Schuldenbremse, die wir uns in die Verfassung schreiben mußten. D.h. ein Fiskalpakt der diesen Namen verdient, hat massiven Einfluß auf die nationale Haushaltsgesetzgebung. Die Finanzminister der Euroländer können schon gleich mal ihr Telefon nach Brüssel durchschalten, sie werden zu brüsseler Dienstherren. Willkommen Europa – Adieu Demokratie.
Das Dumme ist nur, wenn man ein Europa will, das mit einer Stimme spricht, und den alten nationalstaatlichen Kleinkram hinter sich läßt, dann braucht es ein wirtschaftliches Angleichen der beteiligten Länder, es braucht Transferbereitschaft, und die wird ohne solch einen Pakt und ohne den Schutzschirm nicht zu haben sein. Die Hoffnung aber, mit dem Verlust nationalstaatlicher demokratischer Legitimationen wächst gleichmäßig die Macht des europäischen Parlaments, so dass wir im Saldo weniger nationale und mehr europäische Demokratie haben – diese Hoffnung läßt sich anzweifeln. Zu heterogen sind die Identitäten in den Euroländern. Wenn ein Kalifornier sagt, ich bin Amerikaner, kann er auf nur eine ganz schlappe, kurze Geschichte Kaliforniens zurückblicken. Wenn ein Serbe oder ein Kroate sagt, er sei ein Europäer, hängen ihm verlorene Schlachten von vor 600 Jahren um die Ohren, er kann nicht mal mit seinem Nachbar einen Solidarpakt eingehen.

Usw. keine Lösung in Sicht? Fragt man die radikalen Denker nach Lösungen, kommen auch nur vague Empfehlungen. Z.B. sagt der (wohl auch mehr neoliberale) Ökonom und hin und wieder Talk-Show-Gast Prof. Hans-Werner Sinn,  „Renoviert das Bad, und werdet mündige Bürger!“ Etwas spannender finde ich das linke Pendant, Prof. Wolfgang Streeck, der, eingeladen vom Frankfurt Institut für Sozialforschung, drei bemerkenswerte Vorlesungen zur Finanzkrise gehalten hat. Er hat eine antikapitalistische Position. Aus Langzeitanalysen der USA und Europas schließt er, dass die Austeritätspolitik (Sparpolitik) seit den 80er Jahren eine Abkehr vom Keynesianismus bedeutet. Die Staaten unternehmen ihre Haushaltssanierungen bezeichnenderweise nicht durch Steuererhöhungen. Das können sie nämlich nicht wegen des frei flotierenden Weltkapitals und der politischen Uneinigkeit. Also konsolidieren sie auf der Ausgabenseite, was systematisch zum schlanken Staat führt. Die USA haben das vorgemacht, Europa eilt dem jetzt nach. Im Effekt setzt sich mehr „Marktgerechtigkeit“ gegenüber der „Sozialgerechtigkeit“ durch. Wir erhalten mehr Liberalismus und weniger Demokratie. Auf die Frage, was dagegen tun, ist seine erste Antwort: das weiß ich auch nicht. Und die zweite Antwort setzt auf die Diskussionen um Wachstumsverzicht, andere Lebensstile, Entkoppelungen von den Märkten, etc. d.h. hier wird die Nachhaltigkeitslösung angedacht. Man darf auf sein Buch gespannt sein, das den drei im Juni in Frankfurt gehaltenen Vorlesungen folgen soll. Ein lesenswertes Interview findet sich im Blog thecurrentmoment.

 
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Eine Antwort zu Krisenkommentar

  1. Hallo Heino,
    ich habe deinen Krisenkommentar mit Spannung gelesen. Auf die Frage, was zu tun sei, um die Demokratie vor dem frei vagabundierenden Kapital und den hilflosen Finanzexperten vor dem Kollaps zu retten, wäre eine Antwort, wie die erste von Wolfgang Streek fatal. Es gibt durchaus einige interessante Lösungsansätze. In meinem im April im Morlant Verlage erschienen Essay-Band (Mensch, sei Mensch!) mit fünf Essays über die Freiheit des Menschen habe ich in einem Aufsatz („Demokratischer Marktsozialismus“) versucht, einige dieser Ansätze aufzugreifen und weiterzuentwickeln. Ich habe diskutiert, was die Folgen für die Demokratie sein könnten, wenn man das Ruder des Tankschiffes „neoliberale Wirtschafts- und Finanzpolitik“, auf dem wir alle sitzen und das seit Jahrzehnten nur eine Richtung kennt, nicht rechtzeitig umwirft.
    Wenn es dich interessiert, kann ich dir den Essay gerne einmal mailen.
    Herzliche Grüße
    Henning

     

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