post privacy – nackt im Netz?

Die Datenschutzdebatte ist in Aufruhr. Als Oldy stehe ich emotional noch auf der Seite der Datenschützer und falle unter das von der Piratin Julia Schramm geprägte Verdikt „Datenschutz ist Eighties“. Brav habe ich  die „Datenfresser“ (CCC-Autoren) gelesen und danach meinen Austritt aus Facebook inszeniert. Aber man will ja dazulernen, so lud ich mir das erste deutsche Buch zur post privacy Bewegung auf meinen Kindel (natürlich gegen Cash, hier hört die Öffentlichkeit auch bei diesem Buch auf). Der Autor Christian Heller träumt darin (Post-Privacy Prima leben ohne Privatspäre) von einer besseren Welt: „Wenn alle nackt sind, interessiert sich niemand mehr für die Nacktheit des anderen.“ (taz)

Bei Philipp Albers wird die junge Auseinandersetzung um Datenschutz und post-privacy ganz gut beschrieben, und das Buch wird referiert. Seine Kritik ist unschwer als linke einzuordnen. Er wirft Heller gesellschaftliche Naivität vor, der die Ungleichverteilung der Macht zwischen den Internetbetreiberkonzernen und dem einzelnen Anwender unterschätze, doch er findet es gut, dass die Datenschutzdebatte aufgemischt wird.

Dem kann ich gut folgen und habe bereits nach der Lektüre des ersten Drittels zwei „eigene“ Kritikpunkte. Heller sagt einführend, das Private sei längst aufgehoben, und selbst wenn Leute, wie z.B. Homosexuelle, direkte Daten zu ihrer Neigung bewußt nicht ins Netz stellen, nutze ihnen das gar nichts, weil die berühmten, ominösen Algorithmen aus dem Kontext heraus die persönliche Neigung treffsicher erschließen würden. Auch benutzt er Begriffe, wie „intelligentes Internet“, bzw. „intelligente Maschinen“ in seiner Darstellung. Ich habe mich lange mit Computersimulationen und auch mit Fragen der künstlichen Intelligenz beschäftigt und habe dabei immer wieder erfahren, dass den Möglichkeiten mathematische Strukturen zu nutzen, um soziale oder individuelle Verhaltensweisen voraus zu berechnen, enge Grenzen gesetzt sind. Da hilft auch keine Rechen- und Datenpower, die in der Tat in jüngster Vergangenheit gigantisch gestiegen ist. Das Problem ist ganz schlicht, der Algorithmus hat nur die Daten aus der Vergangenheit, mit denen Verhalten für die Zukunft projiziert werden muss. Das funktioniert, wenn alle Parameter konstant bleiben. Komplexe Sozialsystem aber auch Individuen sind aller Erfahrung nach instabil, sie verändern sich längerfristig in nicht vorhersagbarer weise. Je inhomogener ein System ist, desto stärker sind unerwartete Parameteränderungen.

Z.B.  früher, als die Wähler noch stark in Blöcken gedacht haben, waren Wahlprognosen relativ gut. Beim jüngsten Beispiel, der Wahlkampf in den USA, steigen die Kandidaten auf und ab, und die Prognostiker staunen nur, wie wenig sie voraussagen können. Weiterhin liegt die Stärke von Algorithmen, sofern sie überhaupt vorhanden ist, in der Statistik. D.h. z.B. wieviel Leute im nächsten Jahr einen Merzedes S-Klasse, und wieviel einen VW-Passat in Deutschland kaufen werden, mag noch halbwegs vorhersagbar sein. Aber welches Auto Herr Meier sich zulegen wird, also eine Prognose auf jedes einzelne Individuum zu stellen, ist von einem ganz anderen Kaliber. Im übrigen würde die Automobilindustrie dem Herrn Heller mehrere Millionen bezahlen, wenn er ihnen den Algorithums auf den Tisch legen würde der sichere Verkaufsprognosen erstellen kann.

Als nächstes habe ich ein ungutes Gefühl mit der Begrifflichkeit der Privatheit in dem Buch. Den historischen Betrachtungen und der Feststellung, dass Privatheit gesellschaftlich kulturell verschiedene Phasen durchgemacht hat, und sicher auch heute einer Veränderung unterliegt, kann ich gut folgen. Aber die Daten und Sprüche, die heute von den Netzbegeisterten auf die diversen Plattformen gehoben werden, sind das wirklich Entäußerungen des Privaten? Auf der Fotostrecke von Meiers mögen innige Familienfotos mit lachenden Gesichtern, Kitschposen von Urlaubsreisen, etc.  ausgestellt sein. Aber der Herr Meier kann privat ein ekelhafter frauenunterdrückender Tyrann sein, d.h., was wirklich zuhause abgeht, stellt er nicht ins Netz. Ist es nicht doch so, dass wir ins Netz bringen, von dem wir meinen, das andere meinen, das könnte unser Privatleben sein? Die Millionen Seiten der Girlies reproduzieren mit ihrem Twittern und dem Layout ihrer Sozialen Seiten aktuell jeweils den Mainstream der Jugendkultur (Kleidung, Musik, Lebensstil). Sie präsentieren sich so, wie sie meinen, dass sie damit am besten ankommen. Was geht in ihrem Innnern vor? Was steht hinter diesen Fassaden? Ich würde mal sagen, wir wissen das nicht. Und die Behauptung, dass die schlauen Algorithmen das wüssten, ist blanker Technikeuphemismus. Die Algorithmen haben als Daten nur den Mist, den Millionen Massenmenschen in die Netzschale werfen, wie sollen sie daraus schlaue Schlüsse ziehen?

Google weiß, welche Anfragen ich stelle, Amazon und andere Internetshops wissen, was ich so kaufe, meine Mails werden analysiert etc. Das ist schon erschreckend, wieviel Daten von mir in Profile einwandern und auf Knopfdruck abrufbar sind, wenn man Zugang zu entsprechender Auswertungssoftware hat. Aber diese Daten müssen interpretiert werden, um von ihnen auf meine Privatheit zu schließen. Wenn ein intelligenter Mensch diese von Maschinen erhobenen Daten auswertet, und nehmen wir an er hat einen gute Menschenkenntnis, dann wird er als Gutachter optimaler weise ein Bild von mir zeichnen, von dem ich  sagen könnte, gut gemacht, da erkenne ich mich wieder, der ist ziemlich weit in meine Privatheit eingedrungen. Der Gutachter kann interpretieren, weil er über sein Wissen als Mensch zu den beobachteten Daten eigene Erfahrungswerte einbringt, die relativ zielsichere Schlüsse erlauben. Der Algorithmus muss in den Daten Muster suchen, er muss sich auf Typähnlichkeiten festlegen, so dass im Ergebnis eine schablonierte Kunstfigur ermittelt wird. Das Programm wird Indikatoren ausspucken, die den Typus kennzeichnen, der mit mir gleiche Konsum-, Lese- und Unterhaltungsverhalten aufweist. Ist damit meine Privatheit aufgedeckt?

Sagen wir mal so, bei den Holländern gibt es den Brauch, keine Fenstervorhänge zu haben, jeder, der vorbeispaziert, sieht, die Möbel, die da stehen, die Kleider, die zuhause getragen werden, vielleicht das Fernsehprogramm das abends läuft, etc. d.h. der Lebensstil, der durch Konsumgeschmack und Ausrüstungsfülle ausgezeichnet wird, kann öffentlich eingesehen werden. Auf einem deutschen Dorf sind bei den Einfamilienhäusern die Vorhänge doppelt zugezogen. Das spießige Interieur kann man sich denken, man sieht es aber nicht. Frage: Haben die Deutschen deshalb mehr Privatheit als die Holländer? Auf jeden Fall manifestieren sich zwei Kulturen im Umgang mit dem Wohnungsfenster.

Das was ganz viele Menschen heute tun (und Heller weist darauf hin, Millionen können sich nicht irren) – sich der Netze zu bedienen, kann nicht als krankhaften Exibitionismus abgetan werden.  Es gibt offensichtlich einen riesigen Bedarf bzw. ein Gefühl für eine win-Situation für diese Zurschaustellung, ohne den die Nutzung der sozialen Medien nicht zu erklären ist. Man und Frau lassen sich weit ins Wohnzimmer schauen, das ist ein Wandel von Privatspäre. Aber es gibt ja noch die Räume, die man nicht von außen einsehen kann. Vorm Schlafzimmer bleibt auch in Holland der Vorhang versperrt.  Privates existiert noch.

 
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