Googelt man nach „Social Software“ oder nach „Lernen 2.0“, dann findet man insbesondere auf Seiten von beruflich engagierten E-Learningexperten großes Lob, das Lernen wird revolutioniert, alles was vorher war, kann man vergessen, etc. Worum geht es? In Anlehnung an WEB 2.0 wird hier auf die hohe soziale Kommunikation im Internet verwiesen. Und wenn schon nach der jüngsten Internetstudie (JIM 2011) fast 90% der 12-19 jährigen sich in sozialen Communities bewegen, wieso sollte dann nicht der Lehrbetrieb an Schule, Hochschule und Weiterbildung auf dieser Welle mitschwingen, dass nicht nur mit bla, bla, bla getwittert wird, sondern dass man auch zu Goethes Faust interaktiv twittern könnte. Das ist theoretisch schön überlegt, denn moderne Lerntheorien favorisieren das selbstgesteuerte Lernen, wo im Maximalfall die Lernenden selbst entscheiden, welche Inhalte, sie mit welchen Zielen, welchen Methoden und an welchem Orte sich aneignen. Bislang hatte man das Lernen im Netz bzw. das Lernen mit interaktiven Medien bereits in dieser Richtung interpretiert, weil ein Netzlernender den Zeitpunkt, und die Lernaktion selbst bestimmen kann. Leider hat schon beim „klassischen“ E-Learning die Heilsversprechung, man habe es hier mit einer revolutionären Lernform zu tun, die alles Vorherige in den Schatten stellt, nicht richtig funktioniert. Zu Beginn des Jahrhunderts wurden große Forschungssummen aus heutiger Sicht „verbrannt“, denn fast nichts von dem, was da an Lernsoftware und Content (Lerninhalte) produziert wurde, ist heute noch brauchbar, und die Akzeptanz solcher Angebote war erschreckend niedrig. In der Mitte des ersten Jahrzehnts ruderte man mit dem neuen Konzept „blended learning“ etwas zurück, d.h. weil 100% E-Learning nicht klappen wollte, sollte es jetzt eine Mixtur aus Präsenz- und Onlineangeboten geben. Jede bessere Bildungseinrichtung kündet seitdem auf ihrer Homepage „Blended Learning“ an. Wenn man dann nachschaut sind diese Angebote meist marginal vertreten. Was sich bis heute zumindest an den Universitäten zunehmend aber auch an Schulen und Weiterbildungseinrichtungen durchgesetzt hat, ist E-Administration, bzw. E-Support. Ein Begriff, den man weniger googeln kann, weil ungern zugegeben wird, dass das moderne Internet mit all seinen Lernplattformen darauf wesentlich dazu da ist, Lernende zu verwalten, Skripte bereitzustellen, und Prüfungsaufgaben und Noten zu verschicken. Neuerdings versucht man dem Massenbetrieb bei Vorlesungen durch Videoaufnahmen zu unterstützen, die nach der Vorlesung von denen im Netz eingesehen werden können, die die Vorlesung verpasst haben, oder wegen Überfüllung nicht mehr hineingekommen sind. Alles schön, aber das ist keinen Lernen mit dem Netz.
Wegen dieser Stagnation im E-Learning musste wohl ein neuer Begriff her, damit wieder Schwung in den Laden kommt. Schaut man sich ein „virtuelles Klassenzimmer“ oder eine gut entwickelte Lernplattform, wie z.B. „Moodle“ an, dann enthält diese eine Vielzahl interaktiver, kommunikationsorientierter Instrumente. Die Lernenden können darauf Chatten, sie können auf Foren diskutieren, sie können gemeinsam an einem Dokument arbeiten (ein Wiki), sie können im Profil Bilder hochladen, es gibt eine Mailingliste der Eingeschriebenen, etc. ABER, und hier setzen die 2.0er an, die Instrumente sind fix vorgegeben, so wie eine Tafel im Klassenzimmer hängt, und im Zweifelsfall auch ein Beamer auf Bestellung eingefordert werden kann. Warum den Lernenden die vorgegebenen Instrumente, die nach Lehrbetrieb riechen, aufzwingen, wenn sie doch diese Instrumente bereits in ihrem Privatleben auf facebook und co. verwenden? Lautet der Einwand.
Es gibt eine sehr triviale Entgegnung. Jemand twittert, weil es ihm Spaß macht, sich mitzuteilen. Wer ein Lieblingsthema hat, und Schreibdruck verspürt, beginnt mit einem Blog, wer bunte Alltagskommunikation mit Freunden sucht, und nicht ausgeschlossen sein möchte, geht ins facebook, etc. Wer in die Schule geht, und ein Abitur anstrebt, weil das die Eintrittskarte ins bessere Leben ist, der diskutiert über einen Klassiker, weil der Lehrplan das vorschreibt. Die Lehrerin mag das ganz toll und zeitgemäß finden, aber für die Schüler ist es eine Zwangshürde auf dem Weg zum Abitur, die sie möglichst stressfrei überwinden möchten. Wenn die Lehrerin nun, 2.0-gläubig, einen Goetheblog kreiert, und ihren Schülern nahelegt, die Aufgaben in den Blog zu schreiben, und die Beiträge auch untereinander zu diskutieren, dann zwangsbloggen ihre Schüler, weil sie eine gute Note brauchen, aber mit „normalem“ bloggen, d.h. mit dem real existierenden WEB 2.0 hat das nichts mehr gemein, und der pädagogische Mehrwert dürfte gleich null sein.
Wenn eine Weiterbildungseinrichtung einen Kurs zum Thema: „Wir bloggen zur Geschichte unseres Stadtteils“ anbietet, dann kann das ein sehr erfolgreiches Konzept sein. Freiwillig kommen die Leute, die ein Interesse an der Stadtteilentwicklung haben, und die etwas zum Bloggen lernen wollen. In diesem Setting würde ich vermuten, kann eine Lehrende als echte Lernbegleitung auftreten, und die Lernenden werden hochgradig selbstgesteuert in die Blogsphäre eintauchen. Die Lehrende wird wie bei spielenden Kindern mehr auf gleichberechtigte Teilhabe als auf Inhalte achten müssen. Und die Leute werden sehr viel über ihren Stadtteil lernen, sie werden Stolz auf das Ergebnis sein und Spaß haben. Learning 2.0 kann schon gut sein, aber es ist mitnichten das Wundermittel gegen den erstarrten, zertifikatsorientierten Lehrbetrieb.