Zum Artikel „Im Kampf gegen die Kremelbots“
In der heutigen taz (21.112.2011) beschreibt Alissa Starodub die wichtige Rolle des Netzes in Russland bei der neuen Erstarkung der Oppositionsbewegung gegen Putins Wahlbetrüge. „Blogs, soziale Netzwerke und andere Informationsseiten flogen bislang weitgehend unter dem Radar staatlicher Einflussnahmen oder Zensur – anders als Zeitungen oder TV – Sender.“ Man darf fragen, stimmt das? In der Kontroverse zwischen den internetkompetenten Bloggern Evgeny Morozow und Clay Shirky sagt ersterer, die Diktaturen lassen die Netzwerke (Blogs, Facebook, ..) deshalb laufen, weil sie darüber Kontrolle über die Bewegung haben, und letzterer bringt viele Beispiele, wo bei Unruhen versucht wurde, über Zensur die Medien abzuschalten, was ein Beleg dafür sei, dass die Unterdrücker die Macht dieser Medien fürchten. Der taz-Artikel macht die staatlichen Gegenmassnahmen zum Thema, d.h. Putinanhänger (bzw. bezahlte Büttel) überschwemmen Regimekritische Darstellungen mit Beschimpfungen, das ist aber im Zweifelsfall die harmlosere Variante der staatlichen Nutzung der sozialen Netze.
Vielleicht ist jeder Fall gesondert zu betrachten. Zum Tahirplatz sind Demonstranten erschienen, weil sie in Facebook davon erfahren haben, und es sind andere Demonstranten aufgrund anderer Kanäle dort erschienen, und haben dann erst angefangen zu twittern und Bilder auf facebook zu posten – es ist mengenmäßig sehr schwer einzuschätzen, was da die Oberhand hatte. Ich meine, man sollte die IT-Kompetenzen der russischen (und anderer) Geheimdienste nicht unterschätzen, und wäre sehr vorsichtig in der Frage, ob die sozialen Netze wirklich unterhalb der staatlichen Zensur fungieren. Im taz-Artikel läßt die Autorin eine Bloggerin sagen, es wären inzwischen so viele regimekritische Postings im Netz, dass die Polizei halb Moskau verhaften müsse – also bestehe keine Gefahr. Erstens ist mit Sicherheit nicht halb Moskau in sozialen Netzwerken kritisch aktiv, und zweitens pflegen in Diktaturen die Geheimdienste Daten in Akten zu sammeln, die sie dann erst bei Gelegentheit willkürlich hervorziehen, und nicht immer gleich nutzen. Z.B. falls besagte Bloggerin sich demnächst als Journalistin bewirbt und abgewiesen wird, darf man vermuten, warum.
In der Frage, haben soziale Netze eine demokratische Sprengkraft oder nicht, bin ich bislang noch unentschieden, neige aber etwas in Richtung des Internetkritikers Morozow.