Medien nachhaltig nutzen

Das Grimme-Institut hat in seiner Reihe „medienkompetenz NRW“ einen
schmalen Band „Medien nachhaltig nutzen. Beiträge zur Medienökologie und
Medienbildung“ von Lars Gräßer und Friedrich Hagedorn 2012
herausgegeben. Materialien zu diesem Thema sind rar, und in den Bildungseinrichtungen, die sich mit Umwelt- und Nachhaltigkeitsbildung befassen, gibt es kaum mediengestützte Bildungsangebote. Vereinzelt bietet man Umweltgeocaching an, und ganze wenige Plattformen versuchen eine Vernetzung der umweltbewegten Szene zu unterstützen. Die Beiträge sind in der Regel sehr kurz gehalten. Das erleichtert die Lesbarkeit, verhindert aber auch ein tieferes Eindringen. Man findet darin:

Einen Aufsatz zum ökologischen Fußabdruck der Neuen Medien (von
Siegfried Behrendt S.19-30). Darin werden beeindruckende Zahlen
zusammengestellt, welche Stromverbräuche unsere Netznutzung nach sich
ziehen, welche Ressourcenverbräuche unter welchen Bedingungen bei der Produktion der Medientechnik anfallen, aber es wird auch eine Abwägung versucht, wo digitale Techniken
Ressourcen ersparen. Ein Bilanz kann niemand vorlegen.

Ein spannendes Interview mit Sherry Turkle über ihr letztes kritisches
Buch zu den sozialen Netzen „Alone Together: Why we Expect More from
Technology und Less from Each Other“ (S.31-38). Es wird eindringlich deutlich,
welcher Terror bei intensiver Nutzung von Mail, SMS, Twitter und
Facebook, die alle in den meisten Mobilteilen verfügbar sind, auf den Alltag
ausgeübt werden kann. Auch in Deutschland in meinem eignen Bekanntenkreis ist
zunehmend zu beobachten, wie Freunde beim Essen oder beim gemeinsamen
Gespräch an ihren Smartphones handwerken, und sich aus der Diskussion
ausklinken. Wie man das abstellt, was die tieferen Gründe sind, weshalb
wir so auf diese Gadgets abfahren, ist vielleicht in Turkles  Buch nach
zu lesen.

Der Autor Christian Schicha resümiert sehr kompakt über Kommunikations-, Medien- und Sozialökologie (S.39-54). Es hat zu Beginn der technischen Medien eine verbreitete Debatte über die Signalarmut technischer Kommunikation gegenüber der „face-to-face Kommunikation“ gegeben. Das wird hier kurz referiert. Für sich genommen, ist diese Kritik richtig. Ein Problem besteht aber in der damaligen Unterstellung, man wolle mit der technischen Kommunikation die analoge, menschliche ersetzen. Die „Kommunikationsökologie“, die hier wesentlich mit Frau Mettler-von Meibom belegt wird, spricht entsprechend von „Wirklichkeitsverlust“, wobei der Begriff „Ökologie“ benutzt wird, weil anstelle der physischen Gefährdung der Lebensgrundlagen mit der Mediatisierung die sozial psychischen Grundlagen des Miteinander gefährdet seien. Ich finde, man sollte die Ökologie bei sich lassen, und mit generellen Zuschreibungen vorsichtig sein. Heute sehen wir rückblickend in den vielen neuen Nutzungen, denen sich die Medienanwender bedienen, dass das Abtriften in rein virtuelle Welten psychische Problemlagen beschreibt, wo Ursache und Wirkung schwer zu trennen ist, was aber nicht die Durchschnittsanwendung der Medien betrifft. Weder kam das papierlose Büro, noch gehen die Buchpublikationen zurück, noch wird weniger gereist. Die Neuen Medien stellen heute nicht mehr den befürchteten Wirklichkeitsersatz dar, sondern sie gehen als Aneignung zusätzlicher Kommunikationsformen in den Alltag ein. Das ist sicher nicht problemlos, denn die Zeit, die in die Mediennutzung fließt, muss irgendwo herkommen. Aber ob man dazu eine „Medienökologie“ braucht? An dem Alter der zitierten Belege sieht man, das diese Diskussion heute nicht fort geführt wurde. Dass wir einen „aktiven Medienkonsumenten“ brauchen, lässt sich auch ohne Medienökologie einsehen, und wurde bereits von Brecht ersehnt.

Sabria David beschreibt sehr schön den nachhaltigen Medienkonsumenten (S.55-64). So stellt Frau sich den nachhaltigen Nutzer vor. Etwas kühn ist der normative Duktus, d.h. können alle Nutzer wollen, was sie sollten? Die Rahmenbedingungen, nicht zuletzt auch die Struktur der öffentlich leicht zugänglichen Plattformen bringen Deformationen per se mit. Facebook will nicht den nachhaltigen Nutzer, und entsprechend ist seine Plattform strukturiert. Dagegen angehen kann eine medientechnisch gebildete Minderheit, für die Massen muss auch strukturell mehr eingefordert werden, und medientechnische Grundbildung ist ein weiterer Schlüssel, der mir da noch fehlt.

Das Interview mit Dirk von Gehlen, dem Chefredakteur des Onlinemagazins für Jugendliche der Süddeutschen hat sich mir nicht ganz erschlossen.

Mit reichlich Wortgeklingel lobt Joachim Borner das WEB 2.0 als Nachhaltigkeitskommunikationsort aus (S.71-84). Im Einstieg fordert der Autor eine Ästhetisierung der Nachhaltigkeit. Seinem Beispiel, dass die Klimadebatte erst mit dem ökonomischen Argument durch Nicolas Stern und Al Gore’s Klimafilm als Ästhetisierungsprodukte in der Mitte der Gesellschaft angekommen sei, vermag ich nicht zu folgen. In den USA, wo Gores Film am meisten gezeigt wurde, mag das bei einigen Leuten eine momentane Wirkung erzielt haben, die Gesellschaft ist weiterhin „Klima“ gespalten. Selbst Obama hat daran kaum etwas verändert. Nimmt man im Gegenzug die „Klimawende“ in Deutschland als Beispiel, dann vermag vielleicht die Katastrophe der Geburtshelfer ernsthaften Umdenkens sein? Was dann beim WEB2.0 die Ästhetisierung ist, wurde mir nicht deutlich. Die Aussagen dazu sind sehr kommunikationseuphorisch und werden mit Zitaten hochrangiger Denker belegt, deren Kompetenz nicht zu bezweifeln ist, die aber vom WEB2.0 in Deutschland wenig konkretes Wissen haben dürften (Habermas, Schulze). Die Metaphern „Aufschreibsystem (Kittler 1985) und die „Weise des Entbergens“ (Heidegger) machen sich gut, treffen aber weniger die beobachtbaren Kommunikationsformen im WEB2.0. Das schöne Wort vom „Social Media“ gibt de fakto weniger her, als gemeinhin unterstellt wird. Deutsche Blogs sind wesentlich Selbstdarstellungsräume, in denen Privates und seltener auch Politisches und Wissenschaftliches in die Welt gesetzt wird, worauf aber nur wenige antworten. Es wird vermutet, dass nur ca. 1% der Leseschar auch wirklich interaktiv wird, kommentiert, und im Ansatz so etwas wie kollektive Intelligenz entstehen lässt. Auf Facebook gibt es nicht mal eine echte Suchfunktion nach Begriffen zum Einklinken, geschweige denn Wissensdiskurse, deren Verfolgung und Weiterentwicklung zur zukunftsfähigen Entwicklung beitragen könnte. Der Kommentar des aktiven Durchschnittsnutzers besteht im „Daumen hoch“, also Stimmvieherziehung. Was an Medieninhalten (Fotos, Videos, Musik, Texte) auf Facebook hochgeladen wird, ist überwiegend bis ausschließlich privates Familien- und Freundesgut (Poesiealbumskommunikation), oder es gehört zur Konsum- und Unterhaltungsbranche. Schwarmintelligenz? – Fehlanzeige. Eine ganz nette Nische macht die Protestkultur aus. Zu allen möglichen schlimmen Dingen in der Welt gibt es Aufrufe, die verbreitet werden. Das Handeln besteht dann im Losschicken eines Empörungsformulars – ist das Partizipation?

Das gute Beispiel des Autors, Wikipedia, gab es schon bevor das Modewort von den Social Media die Runde machte. Auch gab es schon früher Foren zu Fachthemen, auf denen wirklich kollektive Intelligenz über Interaktion auf sozialer Basis unentgeltlich entwickelt wird. D.h. im Internet gab und gibt es vermehrt Werkzeuge, die kollaboratives Arbeiten ermöglichen, mit denen all das möglich ist, wovon ein nachhaltiger Netznutzer ins Schwärmen kommen kann, aber leider werden genau diese Tools sehr wenig genutzt und sind der Masse überhaupt nicht bekannt. Auf die Ästhetisierung, die aus dem Netz in der Praxis ein wirklich interaktives, gestaltgebendes Werkzeug massenhaft machen würde, warte ich noch.

Der letzte Fremdbeitrag von Bernd Flessner führt sehr informativ in die Medienwelt der Science Fiction Literatur ein (S.85-104). Es erstaunt hierbei, was auch im ausgehenden 19. Jahrhundert bereits alles an Utopien und Destopien erdacht wurde. Auffällig häufig sind dabei medientechnische und ökologische Visionen verwoben. Der Autor stellt fest, dass die jüngeren Science Fiction Romane bescheidener werden. Man wagt sich weniger an größere Zeiträume und radikalere Visionen. So spannend diese Literatursicht ausfällt, so wenig wird jedoch klar, was wir unter Nachhaltigkeitsaspekten damit anfangen können. Ob zukünftige Technik und Gesellschaft visionär als Bedrohung oder als Befreiung gezeichnet wird, hängt sicher nicht zuletzt von zeitgeistlichen Strömungen ab. Wir können unsere Zukunft nur aus den Anzeichen der Gegenwart zeichnen. Der Autor hätte vielleicht besser etwas weniger Beispiele auswählen sollen, und versuchen aufzuzeigen, welche jeweiligen gegenwärtigen Bedingungen die Romanciers veranlasst haben, ihre medienutopischen Zukünfte zu entwerfen.

Schlussendlich ziehen die Herausgeber ein Fazit (S.105-109). Sie illustrieren resümierend 7 sinnvolle Regeln:

1. Energie sparen, Ressourcen schonen

  1. Gesundheitsgefährdungen vermeiden
  2. Persönliche Beziehungen Wert schätzen
  3. Verantwortung übernehmen (auf) Qualität achten
  4. Sich einmischen und Medienkommunikation gestalten
  5. Mut zu Zukunftsvisionen
  6. Medien, Nachhaltigkeit und Medienkompetenz [fördern]

Die sind wohl wahr, und dass das Grimme Institut am Schluss an den Bildungsauftrag appelliert, ist zu erwarten.

 
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