Fotomanie – knipsen wir die Welt weg?

Mit dem Titel „Schwer überbelichtet“  schreibt Arno Frank in der heutigen sonntaz eine interessante, ziemlich kulturpessimistische Philippika gegen das milliardenfache digitale Fotografieren, das unsere Festplatten vollmülle, und den Blick auf das Eigentliche nur verstelle. Ereignisse werden nur noch als Fotogelegenheiten wahrgenommen, und ist das Ereignis erst abgelichtet, kann es der Fotografierende nicht richtig erlebt haben – so entrinnt uns die Welt nach Arno Frank. In der Tat, die Wahnsinnsfotografiererei besonders an touristischen Orten hat etwas Groteskes, manisch Triebhaftes. Das Festhalten wollen des Flüchtigen per Fotoapparat hat etwas Penetrierendes, wie beim Sex, schreibt Frank. Die Konsequenz dieser Analyse erspart uns der Autor, sie kann eigentlich nur heißen, schmeisst diese ganzen Gatgets in dem Müll und schaut künftig nur noch mit euren eignenen Sinnen um so genauer und intensiver hin!

Das aber wäre meines Erachtens die falsche Botschaft. Ebenso könnte man sagen, vergiss das Internet, er ergießt nur Ströme dümmlichster Tweets, hasserfülter Kommentare und dämlichster Katzenfotos über die Bildschirme. Mögen 95% Schrott und Werbung sein, die 5 bleibenden Prozent haben ein Potential, ein Füllhorn an Möglichkeiten, das allemal die Massenergüsse in den Schatten stellt. Wir erleben z.Zt. die vielleicht schmerzliche Demokratisierung des Mediums Fotografie, denn die Software der Bildbearbeitung in den Kameras ist inzwischen so gut, dass der größte Idiot ein technisch sauberes Foto erzielen kann, wenn er den Apparat nicht völlig daneben hält oder maßlos verwackelt. Das Ablichten ist entprofessionalisiert, jeder kann es. Auch der Übergang vom Aufnahmeapparat zur Sichtbarmachung als Bild ist so automatisiert, dass z.B. bei den meisten Providern für Smartphones die Bilder ohne zutun des Besitzers in der Standardeinstellung unmittelbar nach dem Fotografieren, oder zuhause per WLAN auf einer Plattform landen. Man muss kein Album mehr bekleben, das Album ist virtuell bereits da. Und wer als Album Facebook wählt, erspart sich den Diaabend, zur Vorführung seiner Urlaubsfotos. Das ist kulturkritisch betrachtet die totale Entmündigung des Fotografierenden, das Medium scheint die Botschaft zu sein.

Die Frage sollte erlaubt sein, ist das ein Zwangsmechanismus? Ich sehe das etwas gelassener als der taz Autor.  Ein Bild war füher als Bote einer spanneden Nachricht etwas Besonderes. Noch zu Zeiten des Vietnamkriegs gingen wenige Bilder um die Welt, die eindringlich zeigten, was dort passiert war. Dazu musste ein Pressefotograf vor Ort sein, ein Negativ mußte um die Erdkugel verschickt werden, bevor es auf Zeitungsspalten und in Illustrierten erscheinen konnte. Heute kommt das Bild mit dem toten Kind im Arm der verzweifelten Mutter in Echtzeit vom Gazastreifen global ins Internet und in die Fernsehanstalten. Noch erliegen wir dem Authentizitätsgehabe dieser Bilder, auch weil sie emotionaler aufgenommen werden als beschreibende Texte. Wer sich in seinem Fernurlaub vor einem Landessymbol ablichtet, glaubt noch, damit seine Statusbotschaft belegen zu können. Wenn erst einmal massenhaft durchgesickert ist, dass Bilder auch lügen können, dass sich Hinz und Kunz per Photoshop (oder per sehr viel einfacherer automatischer Software) vorm Eifelturm ablichten können, ohne da gewesen zu sein, dann kann das fieberhafte Ablichten schnell wieder erlöschen. Wir befinden uns gerade in der Kinderstube der digitalen Bildwelt, deshalb auch der kindliche Umgang.

Medien so einzustezen, dass sie einen echten Mehrwert für einen selbst erbringen, will gelernt sein, ist eine Kulturtechnik, die eine Weile braucht. Unser Problem ist heute, dass die Technologien viel schneller sich entfalten, als die entsprechende Kulturtechnik mithalten kann. Gegen Bilderverblödung muss man Aufklärung setzen. Je schneller die Technologien über die Märkte gejagt werden, desto wichtiger ist die mentale Vorbereitung auf den damit verbundenen Wandel. Es ist ein Privileg, dass ich selbst entscheiden kann, wann ich in der Welt bleibe, und nicht zum digitalen Gadget greife, und wann ich den Beobachter spiele und Prozesse abspeichere, um sie nachträglich um so intensiver nachspüren zu können.

 
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