Eine „echt“ kooperative Gruppenarbeit im Netz zu organisieren ist für Lehrende und Lernende keineswegs eine triviale Herausforderung. Im Folgenden ein paar Gedanken dazu.
Eine Gruppenarbeit im Netz vollzieht sich nach meinen Erfahrungen in der Regel so, dass sich die Lernenden „irgendwie“ absprechen (in einem präsenten Treffen oder in einem Chat), wie sie die Arbeit in der Gruppe verteilen. Dann erfolgt die Einzelanfertigung der Teilergebnisse, und am Schluss kopiert bestenfalls ein AG-Mitglied die Teile zusammen zu einem Dokument. In fast allen Lernbiografien werden Texte als individuelle Leistung erstellt, die nur in selteneren Fällen anderen zum Korrekturlesen vorgelegt werden. Bei einer „realen“ Gruppenarbeit wird die geistige Kooperation im mündlichen Diskutieren vollzogen, wobei idealerweise eine Person die wesentlichen Gedanken mitschreiben sollte, die dann zu einer Spiegelstrichliste als Vorlage zur Präsentation des Arbeitsgruppenergebnisses dient. D.h. auch in der realen Gruppenarbeit wird der Schreibakt meist von einem vollzogen.
Technologisch konnte man vor dem digitalen Zeitalter auch nur höchst umständlich zu mehreren einen gemeinsamen Text arbeiten. Wollte man mit einer Schreibmaschine oder mit einer Papiervorlage mit Schreibstift gemeinsam texten, dann müsste man den Platz wechseln, den Griffel übergeben, zu streichende Passagen bleiben als durchgestrichen im Textkonvolut, etc.
Mit der Digitalisierung der Texte entsteht die Möglichkeit, dass mehrere Personen mit ihren Tastaturen auf ihren Bildschirmen einen gemeinsamen Text bearbeiten können, wobei sie dabei weit entfernt und auch zu unterschiedlichen Zeiten tätig werden können.
Längst verbreitet hat sich das Verfahren der Annotationen, das heute jede Textverarbeitung anbietet. Das besagt, dass ein „Lektor“ sich einen bereits erstellten Text von jemanden anderen vornimmt, und seine Korrekturen und Anmerkungen so einfügen kann, dass der Autor, wenn er die bearbeitete Version erhält, selbst entscheiden kann, welche Verbesserungen er akzeptieren will, und welche Anmerkungen ihn zum Weiterdenken veranlassen. So können auch mehrere Lektoren einen Text bearbeiten, wobei die Software jeweils einem Lektor eine besondere Farbe zuweist, und die Kommentare personifiziert. So entsteht zumindest ein kollektiv bearbeiteter Text.
Man nehme z.B. das Kooperationstool Google Docs, lade dazu drei Leute ein, dann sitzen zu Beginn alle vier vor einem leeren Bildschirm, jeder kann was hineinschreiben, alle sehen das von allen Geschriebene. Dabei ergibt sich in der Regel nur eine chaotische mehrfarbige Wortansammlung. Wie produziert man „aus dem Nichts“ gemeinsamen einen sinnvollen Text?
Jeder gute Text hat absatzweise eine innere Logik nach der inhaltliche Aussagen im Sinne eines Gedankenaufbaus, bzw. einer Gedankenentfaltung aneinander gereiht werden. Einen zusammenhängenden Gedanken zu entfalten und zu einem ersten Ende zu bringen, ist wohl in der Regel Sache eines Autors. D.h. wenn keine extrem eingespielten Personen zusammenarbeiten, die sich die Gedanken gegenseitig ablesen können, wird der Normalfall auch im kollaborativen Texten darin bestehen, dass absatzweise je nur ein Autor zuständig ist. Die kleinsten Texteinheiten im Kollektivtext wären dann Einzelabsätze, die als eine mehr ausformulierte Brainstormsammlung entstehen könnten. Wird so vorgegangen, dann hat man im ersten Anlauf eine Reihe von Absätzen, die teilweise redundant sein können, und untereinander wohl auch keine Verbindungen und Sprünge aufweisen. Will man die Kreativität einer Gruppe nutzen, müsste man – wie beim Brainwriting – in einem zweiten Anlauf alle Beteiligten ermutigen, das Gelesene über Assoziationen weiterzuspinnen. Im dritten Anlauf müssten diese Absätze gemeinsam selektiv bewertet und geordnet werden. Dabei würde einiges als unpassend oder redundant vernichtet, und die Perlen unter den Absätzen wären ein Gerüst für die Endfertigung, bei der geglättet, übergeleitet und ergänzt werden müsste. Diese Prozedur ist arbeitsaufwändig, sie bedarf der Regeln und auch der „Metakommunikationswege“, weil ja auch eine Diskussion über die Teiltexte organisiert werden muss (bei Google Docs gibt es dazu einen neben her laufenden Chat und eine Kommentarfunktion).
Erheblich einfacher ist dann doch die eingangs beschriebene „Einzelarbeitsmethode“. D.h. über ein Brainstorming (z.B. in einem Chat, einem Forum, oder auch im Café, falls man nicht zu weit auseinander wohnt) wird man sich auf ein Grobstruktur des zu erstellenden Textes einigen, und arbeitsteilig festlegen, wer welchen Part im Alleingang (Rohfassung) bis wann erstellt. Diese Einzelteile werden zusammen gefügt, und dann sollte eben unbedingt eine Session mit einem Kooperationswerkzeug wie Google Docs oder Etherpad erfolgen, bei dem alle entweder zeitgleich, oder besser zeitversetzt die Einzelteile kommentieren, Verbesserungen vielleicht direkt anbringen, etc. Nur diese gemeinsame Überarbeitungsphase garantiert, dass hier wirklich kooperiert und nicht einfach nur summative Einzelarbeit geleistet wurde. Bei Lernprozessen erfolgt hierbei nicht nur eine Qualitätssteigerung des Textes, sondern es erfolgt auch eine größere fachliche Involviertheit in den Stoff für alle Beteiligten.
Als Werkzeuge eignen sich Etherpad oder Google Docs. Für den mobilen Einsatz (App) gibt es neuerdings Quip (geistreiche Bemerkung). Das Königswerkzeug ist das Hangout aus Google+, mit dem man nicht nur einen Text gemeinsam bearbeiten und kommentieren kann, sondern auch per Video miteinander über den Text sprechen kann. Während die Mitgliedschaft in der Gruppe bei Etherpad und Google Docs per Link unangemeldet möglich ist, verlangt Google für die Teilnahme am Hangout die volle Mitgliedschaft.