Digitale Bildung – eine Annäherung

Wer im Internet nach dem Begriff „digitale Bildung“ sucht, findet viele Einträge besonders auf den Homepages von Bildungsministerien und Schulinstitutionen und es gibt spezielle Homepages mit diesem Begriff. Auf Wikipedia findet man allerdings (noch) keinen Eintrag, d.h. eine weithin akzeptierte Begriffsdefinition steht aus, oder wird es nicht geben.

Schon zum Begriff „Bildung“, eine deutsche Begrifflichkeit, die es im Angelsächsischen nicht gibt, findet sich eine Vielfalt von Bedeutungsinterpretationen (vgl. den umfassenden Wikipediaeintrag dazu). Sehr vereinfacht gesagt, ist der Begriff religiösen Ursprungs. Der Mensch sollte sich zum Bilde Gottes entwickeln. In der Aufklärung wurde der Begriff säkularisiert, es ging ab dieser Zeit darum, mit Bildung eine Persönlichkeit zu vervollkommnen. Bei Kant ist nachzulesen, dass mit Bildung nicht einfach nur Wissenserwerb gemeint ist, sondern „Sie ist Erziehung zur Persönlichkeit, Erziehung eines frei handelnden Wesens, das sich selbst erhalten, und in der Gesellschaft ein Glied ausmachen, für sich selbst aber einen inneren Wert haben kann.“(zitiert nach Wikipedia). „Verallgemeinernd kann eigentlich nur gesagt werden, dass die meisten Definitionen auf den Mündigkeitsaspekt des Begriffs „Bildung“ hinweisen.“ (Wikipedia)

Es ist aber nicht selbstverständlich, dass der Bedeutungshorizont von Bildung auf Mündigkeit zielt. Schulbildung wird meist so verstanden, dass die Absolventen sich in der modernen Welt zurechtfinden sollen, damit ihre Employability gesichert ist, d.h. es geht mehr um Anpassung, als um Mündigkeit.

Diese Pole, Employability versus reflexive Selbstbestimmung schwingen auch in den Beschreibungen zur „digitale Bildung“ im Internet mit. Geht es darum, im Strom digitalisierter Prozeduren mitschwimmen zu können, und sie im Sinne der digitalisierten Arbeits-, Freizeit- und Konsumprozesse nutzen zu können? Oder geht es darum, neben der digitalen fachlichen Kompetenz auch eine mündige digitale Kompetenz zu entwickeln? D.h., sich in der digitalisierten Gesellschaft eine Selbstbestimmung bewahren zu können?

Man kann also als digitale Bildung eine Bildung verstehen, die den Menschen für die digitalisierte Gesellschaft bereit macht, ihn lehrt, die veränderten Funktionszusammenhänge in einer sich mehr und mehr digitalisierenden Welt zu verstehen und mündig mit zu gestalten1.

Neben diesem Verständnis von „Bildung über Digitales“ gibt es aber auch Sichtweisen, dass digitale Bildung das medial gestützte Lernen und den Umgang mit digitalen Medien beschreibt.

Der Fokus liegt dabei auf der Lernform bzw. der Art des Wissenserwerbs. Z.B. die Autoren des Readers „Routenplaner #digitale Bildung: Auf dem Weg zu zeitgemäßem Lernen. Eine Orientierungshilfe im digitalen Wandel“2 differenzieren sogar zwischen „digitalisierter Bildung“, worunter sie wesentlich analoges Lernen mit gelegentlicher Nutzung digitaler Medien, wie Lernplattformen, Foren oder Videokonferenzen verstehen. Und digitaler Bildung, die sie bevorzugt als „zeitgemäßes Lernen“ bezeichnen. Das wesentliche Feindbild der Autoren ist die „Bewahrpädagogik“, mit der lehrerzentrierte Vorgehensweise mit Tafel und Kreide gemeint ist. Das angeblich neue Lernen besteht aus dem selbstgesteuerten Lernen mit den Neuen Medien und mit dem Lehrer als Lernbegleiter tief eingetaucht in die medienerfüllte „digitale Kultur“, die die Lernenden allgegenwärtig umgibt. Die Autoren übersehen dabei, dass ihr „Neues Lernen“ schon weit vor der einsetzenden Digitalisierung da war. Man lese z.B. beim Urvater Malcolm Knowles, Selfdirected Learning. A Guide for Lerarners and Teachers. Chicago 1975 nach.

In vielen anderen Auslassungen zur digitalen Bildung (vgl. z.B. das KMK-Strategiepapier, „Bildung in der digitalen Welt“ oder die Homepage der Bundeszentrale politische Bildung) liegt der Focus mehr auf dem Lernen. Digitale Bildung soll das Lernen mit computergestützten, vernetzten Medien vermitteln.

Es ist interessant, dass der Begriff „Digitale Bildung“ eine relativ junge Metapher ist. Etwa um die Jahrhundertwende, als das E-Learning als neue Lernform stark diskutiert wurde oder als man reflektierte, was unter „Multimedia“ zu verstehen sei, war klar, dass hier digitale Tools zum Einsatz kamen. Multimedia zur Lernunterstützung wurde von den meisten Autoren nicht nur als Verwendung vieler Medien verstanden, sondern eindeutig als über eine digitale Plattform gesteuerter Medienverbund. Im Klassiker „Mediendidaktik“ von Michael Kerres wird noch in der 4. Auflage aus dem Jahre 2013 der Begriff „digitale Bildung“ oder „digitale Didaktik“ nicht erwähnt.

Was man auch zur Digitalen Bildung zählen könnte, ist das Phänomen des extremen Zuwachses an außer institutionellem Wissenserwerb. Während der Autodidakt, der sich sein Wissen selbst beigebracht hatte, eine Ausnahmeperson war, und das Lernen en passant beim Zeitungslesen und Fernsehschauen partielle Bildungsinhalte vermittelte, befinden sich die Bürger heute in einem potentiellen „Dauerlernzustand“. Die Mehrzahl der Bürger hat jederzeit einen niedrigschwelligen Zugang zu Informationen, die er in seinem Alltag, Berufsleben oder eben zu seiner Weiterbildung brauchen kann. Dieser Dauerlernraum hat leider einen Gerechtigkeitshaken. Wer wenig weiß, kann ihn kaum nutzen, wer viel weiß, profitiert enorm davon. Für das Lehren und Lernen hat dieser Umstand zur Folge, dass die Lehrenden nicht mehr die Wissensdominatoren sind. Das Lehrer-Schülerverhältnis verliert damit erheblich an Hierarchie. Lernende wissen mehr, und ihr Wissensstand ist fluide, er kann sich von einer Sitzung zur anderen verändern. Was aus den uns umgebenden globalen Lernraum alles an Wissen gezogen wird, ist qualitativ extrem diversifiziert. Die Rolle der Lehrenden als Wissensvermittler ist dadurch eingeschränkt worden. Bislang heißt es immer, sie würden zu Lernbegleitern. Ich glaube aber, sie werden zunehmend auch Orientierungsmittler sein, d.h. sie müssen den Lernenden helfen, den Wust von (seriösen) Wissensbeständen in ein für sie sinnvolles Gefüge zu bringen. D.h. die digitale Mediatisierung hat Rückwirkungen auf das Unterrichten im Zeitalter der digitalen Bildung.

Fazit: Es macht Sinn, die digitale Bildung über zwei Komponenten zu definieren.

– Sie muss den Bürgern die digitalen Lernwerkzeuge und Lernmethoden zur Hand geben, damit sie sich befähigen, sich zu orientieren und Skills und Kompetenzen zu erwerben.

– Und sie muss kritisch aufklären über die sich mehr und mehr digitalisierenden Prozesse in unserer „digitalen Welt“, damit die Bürger ein selbstbestimmtes Leben führen können.

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1So schreibt z.B. die Homepage „Digitale Bildung für Alle e.V.“: „Wir haben den Digitale Bildung für Alle e.V. gegründet, um die nachfolgende Generation auf dem Weg zu digital mündigen Bürger*innen zu begleiten und sie zu befähigen, Technologien sinnvoll und kreativ einzusetzen.“

2Axel Krommer, Martin Lindner, Dejan Mihailowic, Jöra Muuß-Merholz, Philippe Wampfler (2019): Routenplaner #digitale Bildung: Auf dem Weg zu zeitgemäßer Bildung. Eine Orientierungshilfe im digitalen Wandel.

 
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