Die große Transformation

Aktuell erinnern uns die Schülerdemos #fridaysforfuture und die nachziehenden Ökoaktivisten #ExtinctionRebellion mit Nachdruck auf der Straße daran, dass endlich gehandelt werden muss.
“Why should I be studying for a future that soon may be no more, when no one is doing anything to save that future?” sagt die F-f-F Ikone Greta Thunberg, die es bis in die bunten Illustrierten geschafft hat. In der Politik rudert man von Abwehr (FDP-Lindner) bis zu Zustimmung (CDU-Merkel). Es überwiegt „Verständnis“, auch wenn das Schulschwänzen rein rechtlich inkorrekt ist. Offensichtlich drückt der politisch-moralische Schuh, denn ein Blick auf die CO2-Emmissionsentwicklungen zeigt, dass es trotz aller Abkommen und Klimaschutzbekundungen auch dem ökologischen Musterknaben Deutschland nicht gelingt, den notwendige Emmissionsrückgang einzuleiten. Wenn Bernhard Pötter, der taz-Umweltchefjournalist, etwas süffisant bemerkt, dass diese Demos, wobei er auch #pulseofeurope mit einbezieht, wirkungslos verpuffen werden, wenn sie sich nicht institutionell oder parteipolitisch verankern, dann muss ihm widersprochen werden, denn institutionell ist mit dem Nachhaltigkeitsrat und dem Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WGBU) ein starkes Sprachrohr vorhanden, auf das leider nur kaum gehört wird. Wie auch die Parteien dem Thema Nachhaltigkeit kaum Aufmerksamkeit widmen. D.h. Druck von der Straße ist dringend erforderlich, um dem Handeln Beine zu machen. Die Systemträgheit bzgl. Klimaschutz hat m.E. einen einfachen Grund. Wenn eine politische Veränderung ansteht, soll die Gutes bringen, da sind alle dafür, aber sobald sie etwas kostet, sind alle dagegen. Diese Kultur des Nur-Habenwollens haben die Parteien und ihre Politiker verinnerlicht. Vorstöße, die etwas kosten könnten, werden abgewiegelt, neuerdings mit dem Argument, dass dann die „Gelben Westen“ auch bei uns kommen könnten. Der jüngst debattierte überparteiliche Konsens zur CO2-Abgabe, der vielleicht ein Ergebnis des Straßenklimadrucks ist, ist leider ein typisches Beispiel für die Nehmensthese. Ein an sich sinnvolles Steuerinstrument zugunsten weniger CO2-Emmissionen, wird politisch so eingeengt, dass es volkswirtschaftlich kostenneutral sein soll (nur ja keine Steuer erheben). Aber wenn der Bürger das Geld, das er für die CO2-Abgabe im Verkehr oder der Heizung mehr zahlt, an anderer Stelle wieder bekommt, dann muss er sein Verhalten nicht ändern, er muss nur umbuchen. Die Steuerwirkung verpufft.

Wie ist die Zukunfts-Faktenlage jenseits von fake news? Institutionen, die sich um die Zukunft der Erde Sorgen machen, sind z.B. das Wuppertal-Institut, der zitierte WGBU und international der Club of Rome und zum Klimawandel das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC).
Bzgl. der Zukunft der Erde muss zuerst gesagt werden, wir haben nicht nur das Klimaproblem. In dem jüngste Zukunftsreport mit dem etwas umständlichen Titel: „Die Große Transformation. Eine Einführung in die Kunst gesellschaftlichen Wandels“ 2018 von Uwe Schneidewind, Präsident des Wuppertal Instituts und Mitglied im WGBU ist von 7 Wenden auf dem Weg zu einer zukunftsfähigen Gesellschaft die Rede:
• Wohlstands- und Konsumwende
• Energiewende – Suffizient, effizient, regenerativ
• Ressourcenwende – Auf dem Weg zu einer ressourceneffizienten Kreislaufwirtschaft
• Mobilitätswende – Umsteuern in einem umkämpften Feld
• Ernährungswende – Umwelt und Gesundheit zusammenbringen
• Urbane Wende – Stadtentwicklung zwischen Quartier und Region
• Industrielle Wende – Grundstoffindustrien zukunftsfest machen.
Jede dieser „Wenden“ setzt eine Transformation, man kann auch sagen, Revolution des Bestehenden voraus. Jede Wende ist bislang nur zaghaft angegangen, gegen jede Wende schlagen massive Widerstände im jetzigen Gesellschaftssystem entgegen – eigentlich ist es nur schwer vorstellbar, wie wir das schaffen können sollten. Der Hoffnung, dass man das alles mit technologischen Innovationen wird bewerkstelligen können, widersprechen die zugrundeliegenden Studien. Sowohl Schneidewind, als auch der in diesem blog voranstehend besprochene Club Of Rome Bericht gehen davon aus, dass an erster Stelle ein kultureller Wandel nötig ist, eine Verschiebung unserer Wertemuster vom „mehr haben wollen“ zu einer genügsameren, aber dann auch zufriedenstellenderen Beschränkung unserer Fortschrittsmöglichkeiten. Der Club of Rome beschreibt die Transformation als einen Übergang von der „leeren“ in die „volle“ Welt mit einer Absage an den Wachstumsglauben. In ersterer konnten wir Dreck massenhaft, kostenlos emittieren. In letzterer kommt der Dreck zurück und vernichtet uns, wenn wir nicht gegensteuern. Diskutiert wird ein Umdenken in den Lebenstheorien.

Den kulturellen Kosten des Wandels, wie weniger schnelle Autos fahren können, weniger jeden Punkt in der Stadt mit dem eigenen Auto erreichen, weniger Fleisch essen, weniger großen Wohnraum genießen können, weniger Fernflüge unternehmen können, etc. stehen kulturelle Gewinne im Sinne neuer Wertschätzungen gegenüber, beruhigte Städte, die dem Fußgänger offene Räume bieten, mehr lokale Kultur, sanfter Tourismus, gesundes Essen mehr Zeit für Muße anstelle materiellen Konsums, etc.
Die ökonomischen Kosten sind immens. Will man den Prozess der Dekarbonisierung nicht mit Verboten leisten, sondern marktwirtschaftlich regulieren, werden viele aus dem Denken einer „leeren Welt“ entsprungene liebgewordene Dinge teurer werden. Auch die Dekarbonisierung der Weltwirtschaft zum Klimaschutz ist teuer. Während deutsche Kohlekraftwerke bereits im Schnitt über 40 Jahre alt sind, und kurz vor ihrer Abschreibung stehen (und wir uns trotzdem sehr schwer tun, sie abzuschalten), sind die Kohlekraftwerke in Asien und Afrika im Schnitt erst 11 Jahre alt. Sie abzuschalten ist eine fette Kapitalvernichtung, die gerade ärmere Länder sich nicht leisten können. Im Weltkapitalfluss steckt ein sehr hoher Anteil in Kohle- und Ölvorkommen, die nach dem Pariser Klimaabkommen und den IPCC-Erkenntnissen nicht abgebaut oder raffiniert werden dürfen. Theoretisch haben diese Assets schon heute einen Null-Wert, wenn sich das praktisch realisiert, kann das eine weitere Finanzkrise bewirken. Etc.
Die sozialen Kosten sehen wir wenig. Wer denkt an die Situation der TextilarbeiterInnen in fernen Ländern, wenn er/sie ein billiges T-Shirt kauft? Welche Hungerlöhne und schlechten Lebensbedingungen stehen hinter den Millionen, die für uns Kaffeebohnen anbauen, Sojabohnen für billiges Schweinefleisch produzieren, etc? Nachhaltigkeit heißt auch, die soziale Frage zu lösen, und gerechtere Löhne in der 3. Welt bedeutet natürlich teurere Nahrungs- und teurere Rohstoffimporte.
Was bei den kulturellen Kosten in der Gegenbetrachtung die kulturellen Gewinne einer langsameren, schöneren Welt sind, das ist bei den ökonomischen Kosten die Abwägung, dass die Überlebenskosten in einer z.B. klimatisch oder sozial gekippten Welt viel größer sein werden, als unsere jetzt noch möglichen Vermeidungskosten. Diese kniffelige politische Strategiefrage, wir tun Euch jetzt etwas weh, damit es Euch später weniger weh tut, ist eine Herausforderung an die Politik, die in Zeiten vereinfachender populistischer Slogans nur schwer umzusetzen ist. Während im Club of Rome Bericht die Botschaft lautete „Wir sind dran“, kann man ein Jahr später der für die Zukunft zuständigen Jugend nur zurufen, „Wehrt Euch“!

PS: Das Fischertaschenbuch von Uwe Schneidewind, Die Große Transformation. Frankfurt 2018, empfehle ich allen, die sich über die Nachhaltigkeit intensiver informieren möchten. Es wird umfassend auf 480 Seiten der aktuelle Stand der Nachhaltigkeitsfoschung zusammengetragen. Man findet vieles, was man im Prinzip kennt, aber die Zusammenschau des Komplexes, was nachhaltige Entwicklung beinhaltet, und wie sie strategisch angegangen werden kann, ist in dieser Form nirgends zu finden, und auch nur von jemanden zu leisten, der hinter sich einen ganzen Institutsapparat hat, und auch Mitautor vieler Studien des WGBU war. Das Buch kann auch auszugsweise gelesen werden. Die einzelnen Wenden werden umfassend dargestellt. Der notwendige kulturelle Wandel ausgiebig diskutiert und im Schlusskapitel werden die für die Umsetzung nötigen Akteure benannt.

 
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