Das Internet – Sargnagel der Demokratie?

Eine Demokratie wird dadurch gekennzeichnet, dass alle Macht vom Volke (und nicht von einem Despoten) ausgeht. Wesentliches Merkmal sind freie Wahlen. „Da die Herrschaft durch die Allgemeinheit ausgeübt wird, sind Meinungs- und Pressefreiheit zur politischen Willensbildung unerlässlich“. (https://de.wikipedia.org/wiki/Demokratie)

Wenn ein Wahlergebnis zum Wohle der Allgemeinheit ausfallen soll, setzt es den informierten Bürger voraus, der über die Zusammenhänge wesentlicher Grundsatzfragen einigermaßen informiert ist, und es müssen Kandidaten antreten, denen man in den Fragen vertrauen kann, über die man selbst nicht genügend Information hat. Wenn ein Kandidat maßlos lügt, dann muss es die freie Presse geben, die mit sachlicher Gegenargumentation den Lügner bloßstellt. In Fragen von Lösungen für komplexe Sachverhalte versagt die Kategorie Lügen in modernen Gesellschaften schon eine Weile. Ob z.B. die EZB mit Ihrer Politik der Geldschwemme letztlich Europa wieder auf Kurs bringt, oder ob sie damit auf eine schärfere Finanzkrise zusteuert, darüber haben Experten unterschiedliche Meinungen. Da lässt sich nicht mehr eine Position als Lüge und die andere als Wahrheit deklarieren. Der moderne informierte Bürger blickt selbst in ganz vielen Fragen nicht mehr durch, aber er kann wenigstens die Herkunft von Positionen einordnen. Die analogen Medien sind ein zuverlässige Partner in der Positionierung. Nachrichten, die wir aus der taz, der FAZ, der Süddeutschen, aus öffentlichen und privaten Fernsehsendungen entnehmen, sind von professionellen Redaktionen nach ihrem Weltbild gefiltert, man kann sie als Leser/Zuschauer einordnen. Allerdings erfordert das Einordnen von Nachrichten ein nicht unerhebliches gesellschaftliches Metawissen, das vielen Bürgern abhanden gekommen ist, bzw. die es nie hatten. Es gibt eine gewisse Tendenz, Positionszuordnungen grobschlächtig zu treffen, oder sie ganz auszublenden. Je komplizierter die Zusammenhänge, in denen wir stehen, desto schwieriger werden Positionszuweisungen. Ein konservativer CDU-Wähler hatte früher ein relativ klares Feindbild zwischen „linken“ und „rechten“ Positionen. Heute, wo seine eigene Parteivorsitzende in der aktuell hoch brisanten Flüchtlingsfrage Positionen vertritt, die auch typische „Linke“ vertreten, stürzt seine einfache Positionswelt zusammen. Bürgern, die bisher eher unpolitisch gedacht und gehandelt haben, fehlt die Positionierungserfahrung grundsätzlich, es fehlt die Erfahrung, dass „richtig“ und „falsch“ kaum mehr moderne Entscheidungsgrundlagen darstellen. Wenn da aus dem Bauch ein Unsicherheitsgefühl hoch steigt, sind sie sehr schnell ein Opfer der Populisten, die gerne noch die „richtige“ Welt von der “falschen“ trennen wollen. Differenzierte Presseberichterstattung wird zur „Lügenpresse“ erklärt.
Welche Rolle spielt unsere zunehmende Digitalisierung in diesen, die Demokratie fundierenden Prozessen?
1. Wesentlich geändert hat sich die Informationsbeschaffung.
Die meisten Jugendlichen, aber auch zunehmend Erwachsene lesen keine Zeitung mehr, hören nur Musiksendungen und ignorieren das Fernsehen. Wer sich informieren will, zückt sein Smartphone und googelt danach. Eingefleischte Facebookianer suchen nicht im offenen Internetraum, sonder sie suchen direkt in Facebook. Was sie da auf Anhieb finden, ist weder von einer Redaktion gefiltert, noch irgendwie beliebig objektiviert. D.h. es ist eine Nachricht der das „klassische“ Positionssiegel fehlt, deren Zuverlässigkeit für einen medial wenig Kompetenten nicht einschätzbar ist. Was der Suchende findet, wird vom Algorithmus, den Google oder Facebook implementiert hat, bestimmt. Damit der suchende Kunde von Google oder Facebook möglichst schnell bedient wird, sorgt der Algorithmus dafür, dass die Antwort auf die gesuchte Nachricht möglichst nahe an dem Umfeld liegt, das der User vorher schon befragt hat. Der Suchende befindet sich bzgl. der Suche in einem „Echoraum“ bzw. in einer „Filterbubble“. Wer eine AfD-Homepage angeklickt hat, einige „likes“ auf flüchtlingskritische Informationen gegeben hat, trifft bei weiterer Recherche Ähnliches, womit sich sein Profil im Algorithmus schärft.
Das Filtern von Informationen ist allerdings keine Erfindung des Internets. Auch in der analogen Welt fühlt sich ein Bürger dahin gezogen, wo seine politische/kulturelle/soziale Heimat liegt. Sei es der Freundeskreis, die Konsumwelt oder die kulturelle Betätigung, das sind alles Echoräume, die unsere tradierten Bindungen festschreiben. Wenn Algorithmen diesen Prozess nachahmen, ist das eine Prinzipienübertragung, aber nicht unbedingt eine Manipulation. Was uns der Algorithmus anbietet, das müssen wir nicht akzeptieren. Letztlich entscheidet immer noch das Subjekt, ob es mit dem Suchergebnis zufrieden ist, oder weitersucht. Wer einen besonders engen Echoraum hat, ist eben auch ein besonders engstirniger Mensch, was hier Ursache und was Folge ist, ist schwer aufzudröseln. Johann Schloemann zitiert in seinem ausgewogenen, SZ-Artikel „Was hinter der Angst vor Big Data steckt“) den digitalen Psychometriespezialisten Michal Kosinski, der in einem Interview sagt, „the magic is in the data.“ Das heißt so viel wie, man zaubert nichts hinein, sondern holt es nur heraus.
Fazit: Die Informationsbeschaffung ist über das Internet extrem erleichtert worden, führt zur Veränderung der medialen Landschaft und ist in der Einschätzunmg weniger transparaent als die Information, die über klassische Medien bereit gestellt wird. Das ist ein Problem, aber nicht das Ende der freien Meinungssuche.

2. Bei der Informationsbereitstellung
zeigt die jüngste Debatte über die angebliche Entscheidung durch Big Data beim Trump-Wahlsieg, dass auch hier Vorsicht bei vorschnellen Internetverdikten angebracht ist. In der Neuen Züricher erschien am 3. Dezember ein Artikel von Hannes Grassegger und Mikael Krogerus, in dem Trumps Wahlsieg auf das Wirken der Firma „Cambridge Analytics“ zurückgeführt wurde, die auch beim Brexit Zugange war. Die Werkzeuge stammen von dem Psychometriker Kosinski, der selbst aber die Zusammenarbeit mit Cambridge Analytics abgelehnt hat. Seine psychometrischen Untersuchungen sind inzwischen so verfeinert, dass aus Netzdaten sehr passgenaue Persönlichkeitsdaten gezogen werden können, so dass man, wenn man Netzprofile kennt, auf Personenprofile zurückschließen kann. Diese Techniken sind von Cambridge Analytics übernommen worden und massiv für die Wahlwerbung in den sozialen Netzen aber auch in der Straßenbewerbung angewendet worden. Z.B. gibt es eine App, mit der ein Tramp-Wahlwerbeteam vor einer Haustüre die Adresse eingeben kann, dann teilt Ihnen die App mit, welcher Wählertypus im Haus wohnt, und wie man ihn ansprechen sollte, so dass die Wahlhelfer ihre Argumentation entsprechend darauf einstellen können. Im Netz kann man mit den Personenprofilen „Ad-Targeting“ betreiben, d.h. der Werbeslogan bzw. der Wahlspruch wird auf die Persönlichkeit abgestimmt. Ein Afroamerikaner bekommt andere Botschaften als ein 65 jähriger weißer konservativer Mann. Es wird angedeutet, dass das Ad-Targeting oder auch „Mikrotargeting“ eine erheblich größere Wirkung habe, als das „normale“, kontextorientierte Werbeeinsprengsel. Die Widersprüchlichkeit der Trumpschen öffentlichen Aussagen hat hier den Vorteil, dass jeweils die „richtige“ Aussage an den dafür geeigneten Adressaten gebracht wird. So dass für jeden etwas im Wahlportfolio bereit liegt.

Dieser Beitrag liest sich beängstigend, und es gibt etliche Pressemeldungen, die auf diesem Beitrag beruhen, so z.B. auch der zweiseitige Artikel „Wie Trump gewann“ in der Sonntags-FAZ vom 11. Dezember von Volker Zastrow. Auch die deutsche Politik springt auf die Warnung, dass mit Big Data Wahlen gewonnen werden könnten voll auf, indem sie eindringlich vor den russischen Hackern warnt, deren mögliche schädliche, oder fälschliche Enthüllungsnachrichten in den Netzen Schaden anrichten könnten.

Inzwischen werden aber die Aussagen des NZ-Artikels zum Trumpsieg, bzw. zur Leistungsfähigkeit von Cambridge Analytics nicht zuletzt in der NZ selbst kritisiert. Die beiden wichtigsten Argumente in der Kritik sind, dass auch Hillary Clinton mit ganz ähnlichen Mechanismen ihren Wahlkampf organisiert hat, so dass man zumindest fragen müsste, wieso helfen die Algorithmen dem einen mehr als der anderen? Und dass selbst über die sgn. „dark posts“ (Zielgruppen gesteuerte Werbung in den Facebookstreems) immer an einer so lancierten Botschaft die Werbung kenntlich ist, d.h. der Facebooknutzer erhält keine persönliche Nachricht, sondern er erkennt die Botschaft als Werbebeitrag von TRump. Dennis Horn, WDR, „Hat wirklich der große Big-Data-Zauber Trump zum Präsidenten gemacht?“  weist den NZ-Artikel schon deshalb zurück, weil er zu gut und zu glatt eine simple Erklärungsstory für den Trump-Sieg abliefere. Er zweifel u.a. mit Belegen die Leistungsfähigkeit der Psychometrie an, dass die Profilbestimmungen doch lange nicht so gut gelingen, wie deren Autoren glauben machen.
Fazit: Auch die Informationsbereitstellung durch das Internet mittels Big Data hat deutliche Grenzen in der Treffsicherheit, und wieweit das selbst bestimmende Subjekt sich Werbeslogans, und seien sie noch so personalsiert, sofort zu eigen machen muss, darf Gott sei Dank noch angezweifelt werden. Ein Nachweis für den Erfolg sucht man bei Cambridge Analytics vergeblich. Aber so lange solche Firmen die Leistung von Big Data hoch halten, so lange erzielen sie mit diesem neuen Geschäftsfeld hohe Umsätze.

3. Kommen wir zur Sargnagelfrage zurück.
In das Internet wird sehr viel hineinprojiziert, von den Befürwortern wie von den Gegnern. Ohne Frage wird unsere Gesellschaft auch durch das Internet verändert. Der fürs funktionieren einer Demokratie notwenige „informierte Bürger“ wurde bei „analogen“ Wahlkämpfen auch mit massiven Täuschungsmanövern übersät, nun bei fortschreitender Digitalisierung werden für die Täuschungen neue Werkzeuge erfunden oder es ergeben sich neue Konstellationen, die sich kompensieren, wenn sie sich alle zunutze machen können. Die Nutzungsformen sind immer ein Spiegel der jeweiligen Gesellschaft und nie Motor ihres Unterganges oder ihrer Auferstehung.

 
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