Teilhabe 2.0 – digitale kommunalpolitische Partizipation?

Die VHS Schwäbisch Hall hatte mich zu einem Vortrag zum Thema „Teilhabe 2.0“ eingeladen. Wir haben uns nicht besonders abgestimmt, und ich habe das Thema mehr im Sinne der großen politischen Linien, Facebookrevolution ja oder nein, und politische gesellschaftliche Partizipation in Netzen interpretiert. Hier meine Gliederung:

1. Elementares zu 2.0
2. Partizipation am Netz
3. Partizipation im Netz
4. Gesellschaftliche Partizipation durch Netzcommunities

Internetkritiker, wie Evgeny Morozov, sehen in den Tweets und Facebookbildern ein interessantes Beiwerk bei laufenden Revolten aber keinesfalls ihre Auslöser oder wesentlichen Verstärker. Diese eher kritische Sicht zu politischer Partizipation in großen Fragen habe ich übernommen, wenngleich man je nach Situation die Rolle der sozialen Medien konkret bewerten sollte und nicht pauschal beurteilen.

Mein Auftraggeber war aber weniger an der medialen Verstrickung an den Revolten gegen nordafrikanische Diktaturen interessiert. Er vermutet ein Erblühen digitaler Partizipation in der kommunalen Politik. Meine Nachrecherche zeigt in der Tat, dass sich neben der aus dem Umfeld der Piraten enstandenen Software zu „Liquid Democracy“ einiges an deutschen Kommunen zur digitalen Bürgerbeteiligung getan hat. Die Stadt Bonn hat 2011 und 2012 ihren Haushaltsentwurf mit online Bürgerbneteiligungen zur Diskussion gestellt (http://www.bonn-packts-an.de). Es gibt eine Seite „Bürgerhaushalt“ in der eine Großzahl deutscher Kommunen gelinkt sind, die Bürgerbeteiligung anbieten, aber wohl nicht alle digital. Die Stadt München hat vom März bis Mai 2012 eine Onlinebeteiligung „MitDenken“ zu Stadtentwicklungskonzepten angeboten, bei der die Mitdenkenden Präferenzen zu ihren Entwicklungsschwerpunken angeben konnten, Ideen einbringen, und Lob&Kritik äußern durften. In „Frankfurt fragt mich“ werden Bürger online aufgefordert, Schwachstellen am Mobilitätskonzept zu benennen, und Entwicklungsvorschläge zu machen. Last but not least stellt der Verein Liquid Democracy e.V. die Mitbestimmungsplattform „Offene Kommune“ mit dem open Source Programm Adhocracy  ins Netz. Das Konzept von OffeneKommune baut auf dem zunehmenden Bedürfnis der BürgerInnen nach Beteiligung an kommunalen Entscheidungsfindungsprozessen auf. OffeneKommune ist eine neutrale kommunale Internetplattform, die von Kommunen für Online-Diskurse und niedrigschwellige ePartizipationsverfahren eingesetzt werden kann. OffeneKommune für frei zugänglich und lädt alle gesellschaftlichen Akteure ein, an Diskussionen und Entscheidungsprozessen teilzunehmen. (zitiert aus der Startseite).

All diese Aktivitäten zu mehr direkter Demokratie wollen nicht die gewählten Parlamente ersetzen, sondern sie zielen darauf, den Bürger mehr ins Boot zu holen, ihn an den Prozessen zu beteiligen, Vorschläge und Kritik zu äußern, so dass ingesamt mehr Transparenz vorherrscht und der Politikverdrossenheit vielleicht entgegen gearbeitet werden kann. Das ist eine sehr schöne Idee, die im Prinzip sehr unterstützenswert ist, ob sie aber real Bestand hat, da habe ich meine Zweifel.

Es fällt auf, dass diese Initiativen in der Zeit erstarkten, als die Piraten eine ernsthafte Bedrohung für das Wählerpotential der herrschenden Parteien war. Jetzt 2014, nach dem Niedergang der Piraten sind etliche Beteiligungsprojekte auch schon wieder beendet. Zu wenig Erfolg?

Zuerst müßte man verstanden haben, wie in Massendemokratien politische Willensbildung sich vollzieht, um dann zu fragen, welche Onlineschritte muss ich vorsehen, um diese Prozesse zu unterstützen. Ein online Partizipationswerkzeug hinzustellen (wie in „Offene Kommune“) und zu sagen, so jetzt partizipiert mal schön  – funktioniert nicht. Wenn Politikverdrossenheit und Partizipationsunwilligkeit vorherrscht, kann  mit Software keine Partizipation evoziert werden. Das bestätigt zumindest ein grober Blick in all die schönen oben genannten Beispiele. Die Teilnahmezahlen und Vorschlagseingaben sind gemessen an den Millionen Bürger in den Städten eben doch sehr niedrig. Da, wo halbwegs respektable Beteiligungen erzielt wurden (Bonn, München) sind Moderatorenstäbe engagiert wurden, um die Beteiligung durch zeitnahe Rückmeldungen und Support zu beflügeln. Wer nur eine Software hinstellt, und vielleicht eine studentische Hilfskraft zur Betreuung, wird mit Sicherheit eine „tote“ Plattform erleben.

Ein Problem scheint mir in der „Massenfrage“ zu liegen. Wegen der Wahlmechanismen reagieren Politiker heute immer nur dann, wenn hinter einer Forderung sichtbar eine große Teilnehmerzahl steht. Wenn ein mitgliedsstarker Verband seine Lobbystimme erhebt, oder wenn über eine Petition mit einer halben Million Stimmen gewunken wird, dann glauben Politiker, reagieren zu müssen. Wenn in einem kommunalen Beteiligungsforum ein qualitativ guter Vorschlag fünf psitive Bewertungen erhält, ist das allein wegen der geringen Zahl eine politische Nullnummer.

Warum gibt es in diesen Beteiligungsplattformen nur relativ wenig Beteiligung? Einfach deshalb weil es 99 von 100 Menschen völlig unsexy finden, sich abends ihr digitales Endgerät zu nehmen, sich einzuloggen, und per rationaler Kopfarbeit ein politisches Statement zur Kommunalpolitik zu posten. Vergleicht man diese Aktion mit einer Stimmabgabe bei einer der Kampagnenseiten im Netz, dann gibt es eine deutliche Schwellendifferenz. Stimmt man z.B.  bei AVAAZ.org gegen Genmaisanpflazung in XY, dann braucht man kaum nachzudenken. Die Organisation hat schon gedacht, der Text ist vorgefertigt, ich gebe nur meine Unterschrift, wenn ich sowieso gerade meine Mails checke, und weiss, 100.000 tun das auch, das wird die Wirkung verstärken, und mit meiner Eingabe habe ich ein gutes Werk getan, ich bin politisch entlastet. Bei einer Bürgerbeteiligung muss selbst gedacht werden, man macht es auch nicht so nebenbei, es ist ein eigenständiger Akt, und man weiss sehr wenig, ob es etwas bringen wird – also viel hochschwelliger.

Ich persönlich bin eigentlich ganz zufrieden, wenn viele Dinge des öffentlichen kommunalen Alltags von der Behörde vernünftig entschieden werden. Direkte Demokratie heißt im strengen Sinn, ich bin plötzlich für ganz viele Dinge direkt mit verantwortlich. Natürlich wäre es aus meiner Sicht gut, der Radweg auf der Bockenheimer in Frankfurt wäre breiter. Aber die Umsetzung dieser Forderung zieht die Verschmälerung der Straße oder das Fällen der Bäume und ein Loch im Budget nach sich. Muss ich mir den Kopf darüber zerbrechen, mich einarbeiten, um für eine komplex tragfähige Entscheidung votieren zu können? Und was ist mit hundert anderen Entscheidungen aus anderen Sachgebieten? Alles delegieren? Ja, ich habe diese Entscheidungen mit der repräsentativen parlamentarischen Demokratie delegiert, ohne Liquid Democracy. Und wenn Planungsfehler in einer Legislaturperiode zu eklatant werden, wird man andere Tools brauchen, als einen braven Änderungsvorschlag auf einem Beteiligungsforum.

 

 
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