Twittern? Nein danke! ?

Kretschmann im taz-InterviewSo hätte ich vor kurzem auch noch argumentiert. Das Privatgezwitschere mag etwas für Teenies sein, oder quadratbelangloses Politsprech, das die PR-Agenturen der Politiker ausstoßen, um ihre Kandidaten in Szene zu setzen, aber eine Kommunikationsform für mich? Nein danke!

Keiner meiner über die Rentenmarke gesegelten Freunde und Bekannten twittert. Wir halten das für eine Jugendkultur, die wir kaum noch verstehen, die uns nichts bringt. So will ich hier überhaupt nicht den von mir geschätzten Kretschmann kritisieren oder gar belehren. Dass er nicht twittert, ist sein gutes Recht, er hat seine Klientel, er tut Gutes auch ohne twittern (Das Interview ist übrigens sehr lesenswert).

Aber Twittern kann  auch mehr sein als eine in den Raum gezwitscherte Befindlichkeitsäußerung. Im Intellektuellenkontext ist Twittern längst eine sehr effizienter Link-Verteilungs-/Informationsmechanismus, der nicht auf „Einschreibeverfahren“ beruht.

Beispiel 1: Ich schätze Evgeny Morozow, Gastdozent an der Standford University, herausragender Technik- und Internetkritiker in den USA. Wie kann ich verfolgen, was er neues publiziert, oder mehr noch, womit er sich gerade beschäftigt? Ich kann googeln, da kommen aber nur die Endprodukte von ihm. Ich kann auf seinen Blog gehen, und einen RSS-Feed einrichten, das ist schon ein mächtiges (leicht überschwemmendes Medium, wenn man das an mehreren Internetquellen macht) Werkzeug. Ich kann aber auch – und da habe ich ein leichtes Medium, das durch seine Kürze besticht, Follower von Morozow werden. Wenn ich dann in meine Twitterseite schaue, kommen die Tweets derer, denen ich folge. Ich überfliege die Kurzzeiler nach dem Namen Morozow, und der twittert nun nicht teeniehaft, dass er gerade ins Kino fährt, sondern der twittert in der Regel einen Link auf einen Aufsatz, den er gut findet, und so profitiere ich vom Recherchewissen eines Denkers, der in seinem Fach mir weit überlegen ist. So kann eine Gruppe befreundeter Interessierter, oder eine Gruppe von Hochschulstudenten untereinander Follower sein, und sie können sich sehr effizient wesentliche Informationen zuschieben, die in Ihrem Kontext spannend sind.

Beispiel 2: Der „Hashtag“, eine Zeichenkette mit vorgestelltem „#“ stellt beim Twittern als gekennzeichnetes Schlagwort eine Verbindung zu allen Tweets her, die diesen Hashtag in ihrem Tweet haben. Und es gibt Internetseiten, in denen jeder, auch nicht Twitterer, nach diesen „getagten“ Tweets suchen kann. Als ich meinen Beitrag zum Hackerspace Frankfurt verfasst habe, habe ich einen Tweet geschrieben, mit Hinweis, das es dazu einen neuen Blogbeitrag von mir gibt, und in diesen Tweet habe ich auch die Zeichenkette #hackffm untergebracht, was das Schlagwort (Tag) dieser Szene ist. Mit diesem Tag lesen dann meinen Tweet alle die, die nach dem Schlagwort hackffm suchen, d.h. meine Information kommt darüber direkt an die Zielgruppe, über die ich geschrieben hatte. Allerdings, und da sehe ich den „ethischen“ Vorteil, das geht nicht als Spam in deren Postfächer, sondern das erreicht potentiell nur die, die aktiv nach diesem Tag suchen. Ich bin erst ein paar Wochen dabei, es gibt sicher noch einiges Mehr, was man auch in der Bildung oder im Kontext von Tagungen, Ausstellungen, etc. mit Twittern  machen kann. Dass auch hierbei wieder massiv persönliche Daten abgegriffen werden, liegt auf der Hand. Postprivacy ist unvermeidlich. Du machst mit, oder Du schreibst auf einer Internetinsel, die niemand besucht!

Fazit: Herr Kretschmann muss das nicht mehr mitmachen. Aber Twittern ist durchaus mehr, als eine verballhornte Kurzfassung von Belanglosigkeiten.

 
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Eine Antwort zu Twittern? Nein danke! ?

  1. Jürgen sagt:

    Das ist für einen Senioren wie mich zwar alles recht interessant, aber nicht unbedingt sinnstiftend. Ich twittere nicht, weil mir dieser ganze Informations-Overload eh auf den Senkel geht. So wichtig kann mir der Aufsatz von Herrn oder Frau XYZ denn auch nicht sein, als dass ich ihn unbedingt lesen muss – das mag bei Journalisten vielleicht der Fall sein, wenn sie irgend etwas intensiv recherchieren. Ich stolpere lieber über Interessantes…
    Was mich außerdem am Twittern nervt ist die mobile Seite, denn offensichtlich twittert die Mehrheit „on the road“ und – was man an den psychsozialen Fehlleistungen und verbalen Missgriffen über die Presse mitkriegt – überwiegend unbedacht und voreilig.
    Ich habe zwar einen Twitter-Account, aber kein Handy. Da ich bekennender Handy-Abstinenzler bin, brauche ich keinen Hashtag oder Kürzelsalat zu lernen, denn eine mail an mich über meinen PC darf ruhig auch mal etwas länger sein. Wenn ich unterwegs bin, schenke ich mir die Freude und den Genuss, meine Umgebung und die Menschen darin intensiv wahrzunehmen, pfeife auf twitter und mir selbst ein Liedchen und genieße die Welt für mich ganz allein.
    Als neugieriger Mensch bin ich dir dennoch sehr dankbar für den Blick in eine Welt, die nicht die meine ist und die ich mir leiste, zu sparen: energetisch, zeitlich, emotional, finanziell, investigativ usw., usf…

     

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